Mit Weiterbildung die Transformation anschieben.

 Strukturwandel und Arbeitsrecht (1) – Kluge Konzepte für die Kompetenzen der Zukunft.

Mit Weiterbildung die Transformation anschieben.

Digitalisierung und Dekarbonisierung werden Wirtschaft und Arbeitswelt in den nächsten Jahren stark verändern. Wir beleuchten in einer Serie mit sieben Folgen die arbeitsrechtlichen Fragen, die sich Arbeitgebern und HR-Managern dadurch stellen. In Teil 1 geht es um kluge Konzepte für die Weiterbildung von Mitarbeitern.

Ob Unternehmen auf klimaneutrales Wirtschaften oder von Verbrennermotoren auf Elektromobilität umstellen, oder ob sie aus der Kohleverstromung aussteigen – Berufsbilder und Anforderungsniveaus verändert das genauso wie die immer weiter fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung. Eine vom Arbeitgeberverband Südwestmetall und der IG Metall initiierte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der 710.000 Beschäftigten in den vier baden-württembergischen Schlüsselbranchen Automobil- und Zulieferindustrie, Maschinenbau, Metallindustrie und Medizintechnik in den nächsten fünf Jahren zusätzlichen Bedarf an digitalen Qualifikationen hat. Dazu zählen die softwaregestützte Steuerung von Geschäftsprozessen, Datensteuerung, Künstliche Intelligenz und Datensicherheit, aber auch überfachliche Fähigkeiten wie Flexibilität und Führungsfähigkeit. Der Weg zu innovativen Geschäftsmodellen und Klimaneutralität erfordert also sowohl von Unternehmen als auch Beschäftigten ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft und stellt neue Anforderungen an die Personalarbeit. In insgesamt sieben Folgen beschreiben wir für Arbeitgeber und HR-Verantwortliche wichtige Leitplanken im Arbeitsrecht:

  1. Mit Weiterbildung die Transformation anschieben
  2. Wann führen neue Arbeitsanforderungen zu einer Betriebsänderung? Und was ist ein Qualifizierungssozialplan?
  3. Agiles Arbeiten als Motor für den Wandel und die arbeitsrechtlichen Tücken
  4. Freiwilligenprogramme helfen, wenn Mitarbeiter sich nicht weiterbilden wollen oder für Arbeit 4.0 wenig übrig haben – wo lauern Stolperfallen?
  5. Strukturwandel erfordert neue Allianzen und Kooperationen: Fußangeln im Arbeitsrecht bei Joint Ventures und Gemeinschaftsunternehmen
  6. Transfergesellschaften als Drehscheibe aus Arbeit in Arbeit?
  7. Falls Entlassungen unvermeidbar sind: Wann handelt es sich um eine Massenentlassung? Wo lauern Fallstricke?

In Weiterbildung statt Personalabbau investieren

Anders als in früheren Umbruchphasen der Wirtschaft sind die Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels meist weniger an einem Personalabbau, sondern an einer Qualifizierung der Beschäftigten interessiert. Eine wichtige Treibfeder, für den Wandel ist deshalb ein strategisches Personalmanagement, das sich an Lebensphasen orientiert, Mitarbeiter zu Flexibilität und Veränderungsbereitschaft motiviert und passgenaue Qualifizierungangebote unterbreitet. Ausgangspunkt ist die Analyse des Qualifikationsbedarfs. Anhaltspunkte hierfür liefern neben der oben genannten Studie auch Untersuchungen etwa des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, des IW Köln oder den Future Skills Report der Chemiebranche.

Qualifizierungseinheit verbessert Steuerung und Transparenz

Um die Mitarbeiter für die neuen Anforderungsprofile zu qualifizieren, kann es je nach Umfang des Weiterbildungsbedarfs sinnvoll sein, eigene Qualifizierungseinheiten zu bilden. Prominente Beispiele sind die Fakultät 73 von Volkswagen oder die Software Academy von Continental, um klassische Produktionsmitarbeiter im IT-Bereich weiterzubilden. Vorteile sind: Geringere Kosten durch bessere Steuerung und mehr Transparenz, aber auch ein Imagegewinn für das Unternehmen.

Qualifizierungsbetrieb oder -gesellschaft?

Wird eine Qualifizierungseinheit als Qualifizierungsbetrieb gestaltet, wird der Mitarbeiter in den neu geschaffenen Betrieb versetzt und behält denselben Arbeitgeber. Dieser kann ihn während Dauer der Qualifizierung bei Bedarf im Unternehmen einsetzen. Alternativ lässt sich ein Arbeitgeberwechsel zu einer Qualifizierungsgesellschaft vereinbaren, die den Arbeitnehmer befristet einstellt. Folglich trägt der Arbeitgeber nicht das Risiko, dass die Qualifizierung nicht den erhofften Erfolg erzielt. Trägt sie Früchte, kann der Mitarbeiter auf eine freie Stelle beim bisherigen Arbeitgeber wechseln. Solange die Qualifizierung andauert, lässt sich der Einsatz beim bisherigen Arbeitgeber auf Basis der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung regeln.

Betriebsrat bestimmt mit

Ein Wechsel in die Qualifizierungsgesellschaft bedarf der Zustimmung des Mitarbeiters, so dass Personalverantwortliche die Kommunikation sorgfältig vorbereiten und Fingerspitzengefühl walten lassen müssen, um die Chancen der Qualifizerung gegenüber einem ansonsten möglicherweise drohenden Verlust des Arbeitsplatzes herauszuarbeiten. Grundsätzlich ist der Betriebsrat sowohl hinsichtlich des Ob als auch des Wie der Qualifizierungsmaßnahmen einzubinden: Das gilt beispielsweie für die Bestimmung der zu qualifizierenden Beschäftigten genauso wie für die konkrete Versetzung in die Qualifizierungseinheit.

Auf lange Sicht planen

Wichtig ist, möglichst früh ein längerfristiges Konzept zu entwickeln, um den erkennbaren Qualifizierungsbedarf zu decken, aber auch um gezielt die künftige Belegschaft zu bestimmen. Je früher Qualifizierungen angegangen werden, desto geringer ist das Risiko, dass die Auswahl der Mitarbeiter nach sozialen Gesichtspunkten angreifbar ist, falls es später doch zu einem Personalabbau kommt. Schließlich darf die Bestimmung der zu qualifizierenden Mitarbeiter nicht die Sozialauswahl für den Fall der Kündigung umgehen.

Kein Anspruch auf Weiterbildung

Aber hat der Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf Weiterbildung, wenn seine Kenntnisse und Fähigkeiten für künftige Anforderungen nicht reichen? Laut Gesetz nicht. In der Regel entwickeln die Tarif- und Betriebsparteien Weiterbildungs- und Qualifizierungsmodelle auf Basis von Rahmenvereinbarungen. Ohne gesonderte Vereinbarung besteht ein Anspruch auf Fort- und Weiterbildung auch nicht qua Arbeitsverhältnis.

Umgekehrt kann der Arbeitgeber Fortbildungen und Schulungen auch nur eingeschränkt aufgrund seines Weisungsrechts anordnen. Die Qualifizierung für einen neuen Arbeitsplatz ist davon nicht umfasst, weil sie über Fortbildungen für die konkrete Leistungspflicht hinausgeht.

Immer mehr Fördermöglichkeiten

Laut Weiterbildungserhebung 2020 des Instituts der deutschen Wirtschaft investieren Firmen pro Jahr und Mitarbeiter 1236 Euro in Fortbildung. Qualifikation steht also bereits hoch im Kurs. Allerdings tun sich kleine Unternehmen dabei schwerer als große. Und es besteht die Gefahr, dass eher die Talente als die weniger Talentierten gefördert werden. Vor allem mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen sowie Ungelernte und Geringqualifizierte hat schon die Große Koalition die Weiterbildungsmöglichkeiten ausgebaut: Nach dem Qualifizierungschancengesetz werden sowohl Weiterbildungskosten als auch Arbeitsentgelt der zu qualifizierenden Mitarbeiter bezuschusst. Mit dem sogenannten Arbeit-von-morgen-Gesetz wurden die Möglichkeiten noch einmal erweitert. Zusätzliche Anreize für die Qualifizierung während Kurzarbeit schafft das Beschäftigungssicherungsgesetz.

Während der Legislaturperiode der Ampelkoalition soll Deutschland laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zur Weiterbildungsrepublik werden, wie wir berichtet haben. Geplant ist unter anderem, Weiterbildung nach österreichischem Vorbild auch in Teilzeit zu ermöglichen. Wenn Arbeitnehmer das österreichische Modell nutzen, bleiben sie beim bisherigen Arbeitgeber angestellt. Dieser muss zustimmen, dass der Beschäftigte die Arbeitszeit um mindestens ein Viertel bis maximal die Hälfte reduziert. Er muss weiter mindestens zehn Wochenstunden versicherungspflichtig im Unternehmen tätig sein. Für jede Arbeitsstunde, die er in die Qualifizierung investiert, erhält er ein monatliches Bildungsteilzeitgeld, das allerdings niedriger als das bisherige Einkommen ist.

Weiterbildung ist der Schlüssel für das Gelingen des Strukturwandels. Spätestens jetzt gilt es, den Qualifizierungsbedarf zu ermitteln und vorausschauend auf einzelne Mitarbeiter aufzuschlüsseln. Grundsätzlich gilt: Transformation gelingt nur mit dem Betriebsrat, niemals gegen ihn. Deshalb ist er bei der Entwicklung der Konzepte rechtzeitig einzubinden. Ob Qualifizierungsgesellschaft oder -betrieb, ob Weiterbildung während Kurzarbeit oder demnächst womöglich auch in Teilzeit: Personalverantwortliche sollten sich eng mit der Agentur für Arbeit abstimmen und klären: Wie wirken sich die geplanten Maßnahmen jeweils auf die Förderfähigkeit aus? In der nächsten Folge unserer Serie beschreiben wir, wann neue Arbeitsanforderungen zu einer Betriebsänderung führen? Und welche Vorteile bietet ein Qualifizierugssozialplan?