Strukturwandel und Arbeitsrecht (4): Wann sind Freiwilligenprogramme der Königsweg?

 Risiken und Fallstricke für die Transformation bei Abfindungen und Aufhebungsverträgen.

Strukturwandel und Arbeitsrecht (4): Wann sind Freiwilligenprogramme der Königsweg?

Freiwilligenprogramme können sozialverträgliche Auswege eröffnen, wenn Mitarbeiter sich nicht für die Transformation weiterbilden wollen oder können. Unter Umständen lassen sie sich mit innovativen Ideen für verbindlich vereinbarte Job-to-Job-Wechsel kombinieren. Wo lauern Fußangeln?

Arbeitskräftemangel und Qualifikationslücke

In Zeiten des Fachkräftemangels steht bei der Transformation zur Smart Factory oder Elektromobilität weniger ein Personalabbau im Vordergrund als vielmehr die Weiterbildung und Qualifizierung von Mitarbeitern für neue Anforderungsprofile. Sehr viele sind offen für die Nutzung innovativer Technologie: Selbst die Altersgruppe ab 55 Jahren nennt eine attraktive digitale Ausstattung des Arbeitsplatzes in Produktion, Wartung und Arbeitsschutz als Grund für einen Jobwechsel, so der Report „The State of the Connected Frontline Manufacturing Worker 2021“. Andererseits bleibt viel zu tun: Nur 22 Prozent der befragten deutschen Arbeitnehmer*innen sprachen sich beispielsweise für mehr Robotik aus und nur 14 Prozent wünschen sich mehr Wearables wie Datenbrillen. Nicht immer ist Weiterbildung eine Option, etwa wenn sich das Geschäftsmodell von Grund auf ändert. Mancher Mitarbeiter kann oder will sich nicht für die Smart Factory oder das Smartphone auf vier Rädern weiterqualifizieren oder kann mit New Work wenig anfangen. Unter Umständen erfordert es die Transformation auch, Organisationsstrukturen zu verschlanken, so dass ein Personalabbau unvermeidbar ist.

Anreiz für Abschied trotz enger Bindung

Insbesondere für Familienunternehmen mit einer traditionell hohen Mitarbeiterbindung aber auch für Konzerne eröffnen Freiwilligenprogramme einen Ausweg, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Vorteile sind beispielsweise: Da keine Sozialauswahl nach §1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) notwendig ist, lassen sich bei richtiger Gestaltung sowohl der Verlust von Know-how-Trägern vermeiden, als auch die Altersstruktur verbessern. Etwa indem die Programme vor allem für Arbeitnehmer*innen attraktiv sind, von denen sich das Unternehmen trennen möchte. Es drohen keine langwierigen Kündigungsschutzprozesse, was die Planbarkeit erleichtert sowie Kosten und Zeit spart.

Turbo- oder Sprinterprämie einbauen

Üblicherweise wird die Abfindungszahlung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt und der Arbeitgeber kann der besonderen Situation von Mitarbeitern etwa mit einer Schwerbehinderung, als alleinerziehende Mutter oder unterhaltspflichtiger Vater Rechnung tragen. In jedem Fall sollten HR Manager die Programme zum Ausscheiden zeitlich begrenzen und das Modell sollte eine Turbo- oder Sprinterprämie vorsehen als Anreiz für Mitarbeiter, um überhaupt oder innerhalb einer bestimmten Frist teilzunehmen.

Vorsicht bei der Auswahl

Doch Freiwilligenprogramme bergen auch Tücken, etwa bei der Auswahl der Teilnehmer: Um die „richtigen“ Arbeitnehmer*innen anzusprechen beschränken Unternehmen die Programme oft auf bestimmte Jobprofile, Geschäftsbereiche oder Mitarbeitergruppen oder benennen Namen von Leistungsträgern, die nicht für eine Teilnahme in Frage kommen. Ratsam ist insofern, das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit zu verankern, damit weder für Arbeitgeber noch Beschäftigte die Pflicht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags besteht. Wichtig zu wissen: Auch bei der Auswahl der Teilnehmer gelten Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsverbot. HR Manager müssen also darauf achten, dass sie eine Differenzierung sachlich begründen können.

Schwellenwerte für Massenentlassung überschritten?

Je nach Umfang des Programms erreichen Unternehmen möglicherweise die Schwellenwerte für eine Massenentlassung. Das bedeutet, dass ein Konsulationsverfahren mit dem Betriebsrat sowie eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit notwendig ist. Eine Stolperfalle kann sich auch aus dem Zeitpunkt der Beendigung im Aufhebungsvertrag ergeben, falls diese die Kündigungsfrist um ein Vielfaches überschreitet. Denn dann lässt sich der Aufhebungsvertrag als befristetete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auslegen.

Vorausschauend planen

Grundsätzlich besteht bei einem Freiwilligenprogramm kein originäres Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG. Doch Vorsicht: Häufig sind die Maßnahmen, die als Initialzündung das Programm auslösen, als Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG zu bewerten: etwa weil ein Standort verlagert, agile Arbeit oder digitale Fertigungsmethoden eingeführt werden. Um Risiken vorzubeugen, bedarf es deshalb einer vorausschauenden Planung mit einem durchdachten Zeit- und Maßnahmenplan für das gesamte Transformationsprojekt. Schon im Vorfeld des Freiwilligenprogramms gilt es für HR Manager zu prüfen, ob eine Betriebsänderung vorliegt. Ist das der Fall, ist das Freiwilligenprogramm in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan einzubeziehen. Wichtig zu wissen ist dabei: Abfindungszahlungen in Freiwilligenprogrammen können als richtungsweisend für Abfindungen in Sozialplänen angesehen werden.

Erfolgsfaktor Kommunikation

Zum Erfolg eines Freiwilligenprogramms trägt die Kommunikation maßgeblich bei. Dabei bedarf es ein gutes Gespür für die Bedürfnisse der Belegschaft und es gilt, die Mitarbeiter rechtzeitig und umfassed über verschiedene Kommunikationskanäle zu informieren. Potentielle Adressaten müssen erkennen können, dass ihnen das Programm einen Ausweg von einem ansonsten drohenden Personalabbau eröffnet. Unter Umständen ist es sinnvoll, die Auswahlkriterien mit dem Betriebsrat abzustimmen.

Aus Arbeit in Arbeit?

Oft werden die Programme mit individuellen Förderprogrammen wie einem Coaching oder einer Orientierungsberatung verknüpft und Outplacement-Berater eingebunden. Angesichts der digitalen und der grünen Transformation bei gleichzeitigem Fachkräftemangel werden derzeit neue Ansätze diskutiert, um einen möglichst nahtlosen Personalübergang zwischen Unternehmen zu gestalten. Denn nicht selten ergeben sich vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Unternehmen. Beispielsweise sind verbindlich vereinbarte Job-to-Job-Wechsel denkbar. Es kann sinnvoll sein, frühzeitig Kontakt mit der Arbeitsagentur vor Ort aufzunehmen, um Vermittlungschancen zu Unternehmen mit Bedarf an Personal zu eruieren und eventuell notwendige Qualifizierungen zu fördern. Wegweisend sind insofern Projekte wie Qualifizierungsverbünde Baden-Württemberg oder Qualifizierungs- und Beschäftigungsplattformen wie Zukunftspool. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen kann es sich lohnen, ältere Arbeitnehmer*innen ab 45 Jahre oder Menschen mit einer Schwerbehinderung einzustellen und weiterzubilden, weil bis zu 100 Prozent der Lehrgangskosten übernommen werden können.

Freiwilligenprogramme sind in Projekten für die digitale oder grüne Transformation ein attraktives Instrument, wenn Weiterbildung keine Option ist oder ein Personalabbau unvermeidbar. Um die Vorteile zum Tragen zu bringen und rechtliche Tücken zu vermeiden, brauchen HR Manager eine kluge Strategie für das gesamte Transformationsprojekt mit einem durchdachten Zeit- und Maßnahmenplan. Häufig ist eine Betriebsänderung der Auslöser für das Freiwilligenprogramm, so dass es ausreichend Zeit für die Kommunikation mit dem Betriebsrat einzuplanen gilt. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist zudem ein Gespür für die richtige Kommunikation mit den Mitarbeitern.