Agiles Arbeiten als Motor für die Transformation: Hält das Arbeitsrecht Schritt?

 Strukturwandel und Arbeitsrecht (3) – Betriebsvereinbarungen für ein Agiles Mindset.

Agiles Arbeiten als Motor für die Transformation: Hält das Arbeitsrecht Schritt?

Infolge der Transformation zu mehr Klimaschutz und neuen digitalen Geschäftsmodellen bleibt in vielen Branchen kaum ein Jobprofil unberührt von Veränderungen. Um rascher auf neue Technologien und Kundenwünsche zu reagieren, setzen viele Unternehmen auf agiles Arbeiten. Wie Arbeitgeber und HR Fußangeln im Arbeitsrecht beim Umbau zu flexibleren und flacheren Strukturen umgehen, beleuchten wir in Teil 3 unserer Serie.

Innovative Arbeitsgestaltung als Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit

Ob Automobilbauer die Weichen für die Elektromobilität stellen oder ob Produzenten von Druckmaschinen mit Beschaffungsplattformen neue Geschäftsfelder erschließen, um Druckereien die automatisierte Abwicklung sämtlicher Geschäfte über ein digitales Ökosystem zu ermöglichen – das Denken in Hierarchien und klassischen Linienorganisationen stösst dabei schnell an Grenzen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts, die im Auftrag von VW die Folgen der Transformation untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis: „Die technologiegetriebenen qualitativen Veränderungen der Arbeit werden sich voraussichtlich als die größeren Herausforderungen erweisen als die qualitativen Arbeitsvolumenverluste.“ Das mache auch einen tiefgreifenden Wandel der Unternehmenskultur erforderlich.

Agile Arbeit stellt neue Anforderungen an Beschäftigte und betriebliche Organisation

Um flexibel auf Marktänderungen und neue Kundenwünsche reagieren zu können, lautet die Antwort in vielen Unternehmen: Transformation zu agiler Arbeit, die sich durch eine iteratvie Herangehensweise auszeichnet mit neuen Formen einer flexiblen und bereichsübergreifenden Zusammenarbeit. Dabei werden Methoden wie Scrum genutzt, mit deren Hilfe sich Projektpläne hinsichtlich Zeiten, Funktionen oder Beteiligten flexibel anpassen lassen. Demgegenüber gibt es bei der klassischen Wasserfallmethode in jeder Projektphase zuvor definierte Start- und Endpunkte. Entwicklungs- und Bearbeitungszyklen lassen sich dadurch beschleunigen und der Wissensaustausch innerhalb des Unternehmens intensivieren. Indem Fehler fortlaufend identifiziert werden, soll vermieden werden, dass Produkte am Markt vorbei entwickelt werden. Im Bereich HR bietet sich agiles Arbeiten für die strategische Personalplanung komplexer Projekte im Strukturwandel an: Etwa um mit Hilfe von Transformationslandkarten für die einzelnen Geschäftsbereiche die Nachfrage nach bestimmten Kompetenzen herauszufinden und die Weiterbildung zu planen. Verbunden mit der agilen Arbeit sind neue Herausforderungen an die Beschäftigten und die betriebliche Organisation.

Bye bye Command and Control

Für Führungskräfte bedeutet es, Abschied zu nehmen von der Welt des Command and Control mit einem Weisungsgeber und klar zugeordneten Weisungsempfängern und Berichtswegen. Mancher Führungskraft wird einiges an Veränderungsbereitschaft abverlangt, wenn beispielsweise die Funktion des Abteilungsleiters in interdisziplinären Teams abgeschafft und seine Aufgaben auf die Mitglieder verteilt werden. Zwar ist der Arbeitgeber qua Weisungsrecht berechtigt, neue Aufgaben zuzuweisen, aber die Motivation des Mitarbeiters ist in diesem Fall fraglich. Unternehmen setzen deshalb in der Regel auf Freiwilligkeit, identifizieren Stakeholder, die Skeptiker mit positiven Erfahrungen überzeugen.

Viele Fragen stellen sich zum Arbeitsvertrag: Etwa zu Zielvereinbarungen und Boni, die sich weniger an individuellen Leistungen, sondern mehr an Projekt-Meilensteinen orientieren, die das Team erreicht. Oder mit Blick auf die Tätigkeitsbeschreibung: Sie muss ausreichend weit gefasst sein, um die gewünschte Flexibilität zu ermöglichen. Andererseits darf sie im Falle einer Sozialauswahl aber auch nicht zu variabel sein und eine zu weit gefächerte Zuordnung ermöglichen.

Wenig Agilität im Arbeitsrecht

Typisch für agile Organisationen ist die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten. Dabei stösst das Arbeitsrecht an Grenzen, weil es von einem Unternehmen als Arbeitgeber statt übergreifender Zusammenarbeit ausgeht, mit klar definiertem Arbeitsort, festen Arbeits- und Ruhezeiten. Auch im Homeoffice müssen Arbeitgeber deshalb Arbeitszeit und Arbeitsschutz beachten, wie wir berichtet haben. Es bleibt abzuwarten, ob die Ampelkoalition dem Trend zu New Work in den Betrieben Rechnung trägt und mehr Flexibilität etwa bei der Erfassung der Arbeitszeit ermöglicht.

Betriebsvereinbarung für die Transformation

Nicht zu verwechseln ist: Agiles Arbeiten steht nicht für fehlende Struktur. Weiterhin sind klare Prozesse und Verantwortlichkeiten notwendig. Gute Erfahrungen machen Unternehmen, die eine Betriebsvereinbarung für die Transformation abschließen und sich dabei ebenfalls an agilen Prinzipien orientieren. So lässt sich nicht nur in dem komplexen agilen Umfeld Sicherheit schaffen. Kombiniert mit intensiver Kommunikation etwa in Workshops steigt zugleich die Chance für hohe Akzeptanz, weil Management, HR, Betriebsrat und Mitarbeiter bei jeglicher Veränderung ein gemeinsames Verständnis entwickeln. Schließlich kann Kulturwandel nur gelingen, wenn der Prozess angstfrei abläuft und die Veränderung positiv besetzt ist, etwa weil das Dazulernen im Vordergrund steht. Ohnehin bestehen zu fast allen Aspekten agiler Arbeit umfangreiche Beteiligungsrechte der Abeitnehmervertreter*innen: angefangen bei der Planung von Arbeitsabläufen über Eingruppierungssysteme und Zuordnung von Mitarbeitern bis zu Qualifizierung und Weiterbildung für agile Arbeitsmethoden oder Moderation und Coaching statt klassischer Führung.

Wie in Teil 2 unserer Serie beschrieben, stellen neue Arbeitsformen und Fertigungsverfahren in der Regel zudem eine Betriebsänderung im Sinne von §§ 111 BetrVG dar. Es ist also der Versuch eines Interessenausgleichs notwendig und ein Sozialplan aufzustellen. Deshalb macht es in den meisten Fällen wie erläutert Sinn, ein Gesamtpaket zu schnüren und die Betriebsvereinbarung mit einem Qualifizierungssozialplan zu kombinieren. Mit Blick auf die agile Arbeit sollte eine solche Betriebsvereinbarung folgende Inhalte regeln:

  • New Work-Raumkonzepte wie Desksharing und Großraumbüro,
  • agile Arbeitsorganisation mit hybriden Konzepten, die Arbeit vor Ort mit freiwilliger oder angeordneter mobiler Arbeit kombinieren,
  • flexible Arbeitszeit oder Ergebniskultur mit Vertrauensarbeitszeit auch unterhalb der Managementebene,
  • teamübergreifendes oder betriebsübergreifendes Arbeiten in flexiblen Projektteams,
  • Definition neuer Anforderungsprofile und Weiterbildungsmaßnahmen
  • neue teamorientierte Vergütungsmodelle,
  • Förderung von Talenten,
  • Mit Blick auf das Homeoffice: Daten- und Geheimnisschutz, Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und Gefährdungsbeurteilung.

Damit sich die Belegschaft mit dem Kulturwandel identifiziert und für ein agiles Mindset öffnet, ist auch in Unternehmen ohne Betriebsrat eine Richtlinie für die Transformation sinnvoll. Diese sollte transparent kommuniziert und mit den Mitarbeiter*innen diskutiert werden, um ein gemeinsames Verständnis für New Work zu entwickeln.

Stolperfalle Scheinselbständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Häufig binden Unternehmen Freelancer in die agilen Teams ein, etwa bei der Softwareentwicklung. Das birgt das Risiko einer Scheinselbständigkeit, weil sich die Arbeit der externen Mitarbeiter nur schwer abgrenzen lässt. Oft können sie ihre Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und unterliegen etwa bei Srum-Projekten den Weisungen des Product Owners. Deshalb gilt es auf die Ausgestaltung achten: Projektverantwortliche dürfen beispielsweise fachliche, aber keine disziplinarische Weisungsbefugnis haben. Arbeitszeit und Urlaub können die Externen frei bestimmen. Ihre Arbeitsmittel wie Laptops müssen sie selbst mitbringen.

Beim Einsatz ganzer Teams externer Dienstleister droht eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung: Schon Projektbesprechungen über zu bearbeitende Aufgaben und Herangehensweisen können für die Integration in die Betriebsorganisation sprechen. Zulässig sind allenfalls Status- oder Meilensteingespräche, sofern sie völlig weisungsfrei bleiben hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit. In der Praxis bereitet das allerdings große Schwierigkeiten.

Ein offenens, agiles Mindset entwickeln die Beschäftigten nur, wenn Unternehmen transparent kommunizieren und ihre Sorgen oder Ängste aufgreifen. Damit Veränderung positiv besetzt ist, sollte insbesondere die Weiterbildung und Qualifizierung im Vordergrund stehen. Gut durchdachte Betriebsvereinbarungen schaffen einen Rahmen für die Transformation. Im Idealfall vermitteln sie allen Beteiligten Sicherheit durch Struktur und klare Regeln für den Wandel. Fußangeln lauern in Gestalt einer Scheinselbständigkeit oder verdeckten Arbeitnehmerüberlassung bei der Einbindung externer Experten in agile Teams.