Beweiswert der AU-Bescheinigung
Wer arbeitsunfähig krank ist, muss nicht arbeiten, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ist aber im Zweifel als Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Sie hat dann einen hohen Beweiswert dafür, dass ein Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt ist und nicht nur „krankfeiert“.
Und doch ist eine AU nicht unumstößlich. Starke Zweifel an ihrer Richtigkeit, z. B. aufgrund der allgemeinen Umstände oder tatsächlicher Anhaltspunkte, können den Beweiswert der AU erschüttern.
Aber dürfen Arbeitgeber Mitarbeiter von einer Detektei überwachen lassen, wenn Zweifel an der Richtigkeit der AU bestehen? Oder setzt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hier Grenzen?
Mit dieser Frage befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG).
Detektei auf Arbeitnehmer angesetzt
Ein langjähriger Mitarbeiter klagte gegen seinen Arbeitgeber. Der hatte ihn stichprobenartig von einer Detektei observieren lassen. Dabei wurden Fotos des Mannes gemacht: in der Öffentlichkeit und im privaten Umfeld, beim Einkaufen, bei Handwerksarbeiten zu Hause oder beim Tragen schwerer Gegenstände.
Der Grund für die Observierung: Der Mann hatte sich nach einem heftigen Konflikt krankgemeldet – vorangegangen waren über Jahre etliche Rechtsstreitigkeiten. Eine AU legte er zwar vor. Und doch hatte der Arbeitgeber den Verdacht, dass der Mann nicht wirklich arbeitsunfähig krank war – deswegen die Observation.
Als der Mitarbeiter erfuhr, dass er observiert worden war, verlangte er wegen Verletzung von Art. 82 Abs. 1 DSGVO 25.000 Euro Schadenersatz. Die Observation sei ein massiver Datenschutzverstoß und eine Verletzung seiner Privatsphäre.
Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen
Vor dem Arbeitsgericht scheiterte der Mann mit seiner Schadenersatzklage.
Das Landesarbeitsgericht hingegen verurteilte den Arbeitgeber zu einer Schadenersatzzahlung i. H. v. 1500 Euro. Das BAG beurteilte den Fall genauso.
Der Arbeitgeber habe bei dieser Überwachung unzulässig sensible Gesundheitsdaten (Art. 4 Nr. 15 DSGVO) verarbeitet – die Verarbeitung solcher Daten ist allerdings nur im Ausnahmefall unter strengen Voraussetzungen möglich.
Vor allem die Ausnahme aus Art. 9 Abs. 2 lit. b DSGVO und § 26 Abs. 3 BDSG greife in diesem Fall aber nicht. Danach entfalle das „Verarbeitungsverbot, wenn die Verarbeitung erforderlich ist, damit der Verantwortliche die ihm ‚aus dem Arbeitsrecht […] erwachsenden Rechte‘ ausüben kann …“
Zwar sei eine Observierung von Arbeitnehmern deswegen grundsätzlich denkbar, um Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu untermauern. In diesem Fall sei die Observierung aber nicht das mildeste Mittel gewesen, um herauszufinden, ob der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig war. Der Arbeitgeber blieb schlichtweg den Beweis schuldig, dass die Überwachung notwendig war, um den Beweiswert der AU zu erschüttern.
Kontrollverlust und Sorge um Privatsphäre
Ein Anspruch auf Schadenersatz ergibt sich in solchen Fällen aus Art. 82 DSGVO.
Der Kontrollverlust über seine (Gesundheits-)Daten reicht in derartigen Fällen als „Schaden“. Denn schon ein kurzzeitiger Kontrollverlust über personenbezogene Daten reicht, um einen immateriellen Schaden zu begründen.
Zu guter Letzt hielt das BAG auch den Schadenersatzbetrag von 1.500 Euro nach Maßgabe der unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität für ausreichend. Denn ein Ersatzanspruch habe nicht die Funktion abzuschrecken, sondern lediglich erlittene Schäden abzugelten.
Urteile zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in unserem Blog!
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Das Wichtigste kurz zusammengefasst:
- Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist hoch.
- Bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eine Observation des Mitarbeiters grundsätzlich denkbar.
- Die Observation von Mitarbeitern muss das mildeste Mittel sein und ist nur bei begründeten Zweifeln überhaupt rechtlich zulässig.