Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie.

 Verletzungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie.

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich aktuell mit der Frage, inwieweit Verstöße gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie durch den Arzt den Beweiswert erschüttern können (BAG, Urteil v. 28.06.2023, Az.: 5 AZR 335/22).

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB)

Eine AUB ist die faktische Grundlage für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) von Arbeitnehmern im Krankheitsfall. Denn mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann der erkrankte Arbeitnehmer den notwendigen Beweis antreten, dass er seiner Arbeitspflicht tatsächlich krankheitsbedingt nicht nachkommen konnte.

Fraglich ist aber, ob die AUB den Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AURL) entsprechen muss oder ob Verstöße gegen die AURL ihren Beweiswert erschüttern können.

Krank während Kündigungsfrist

Ein Arbeitnehmer war Mitte Januar bis Ende September eines Jahres bei einer Personalvermittlung als technischer Zeichner beschäftigt. Ihm wurde am 02.09. zum Ablauf des Monats gekündigt. Danach erkrankte er und legte für die Zeit vom 07.09 bis 30.09. zwei AUB vor, meldete sich also krank. Geld bekam er für September allerdings nicht – nicht als Lohn, nicht als Entgeltfortzahlung.

Deswegen klagte der Mann auf Entgeltfortzahlung in Höhe von rund 1.800 Euro für die Zeit vom 07. bis 30.09. Er habe die notwendigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Starke Schulterschmerzen und Bewegungseinschränkungen hätten ihn arbeitsunfähig gemacht.

Der Arbeitgeber glaubte den AUB nicht recht und sah den Beweiswert wegen eines Verstoßes gegen die AURL erschüttert. Nach § 5 Abs.1 S. 5 AURL (neue Fassung) hätte der Arzt die beschriebenen Symptome wie Schulterschmerzen spätestens nach sieben Tagen durch eine ICD-10-kodierte (Verdachts-)Diagnose ersetzen müssen.

BAG: Beweiswert bei Verstößen gegen AURL?

Letztlich sahen weder das Arbeitsgericht noch das Landesarbeitsgericht oder das BAG den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Verstoß gegen § 5 AURL erschüttert.

Das BAG: Zwar könnten sich Zweifel an der Richtigkeit einer AUB aus Verstößen gegen § 5 Abs. 1 S. 5 AURL n. F. ergeben. Symptome in der AUB müssten zeitnah durch eine ICD-10-Diagnose ersetzt werden, auch wenn diese kodierte Diagnose vor allem aus abrechnungsrechtlichen Gründen anzugeben sei.

Trotzdem könnten sich auch Zweifel an der Richtigkeit der AUB ergeben, wenn die Symptome nicht durch die Diagnose ersetzt würden. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann also erschüttert sein, wenn die AUB nicht entsprechend der AURL ausgestellt ist.

Im konkreten Fall sah das Gericht aber keinen Verstoß gegen die AURL. Denn ein ICD-10-Code war in der Bescheinigung enthalten, der auch als Diagnose gesehen werden konnte, nicht nur als Feststellung unspezifischer Symptome. Das BAG stellte außerdem klar, dass die AURL nicht verlange, dass ein Arzt ab der zweiten Krankheitswoche konkrete Schmerzursachen attestiere.

Atteste genau prüfen

Erkrankt ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung plötzlich bis zum Ende der Kündigungsfrist, kommt nicht unbegründet der Verdacht auf, dass der Mitarbeiter möglicherweise nicht so arbeitsunfähig krank war, wie die AUB vermuten lässt. In diesem Fall lohnt es sich ggf., die AUB auch unter dem Aspekt der Vorgaben der AURL unter die Lupe zu nehmen.

Lesen Sie zu diesem Thema auch unseren Beitrag „Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU)“.

Was wir für Sie tun können

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Das Wichtigste in Kürze zusammengefasst:

  • Der Beweiswert einer AUB ist grundsätzlich hoch.
  • Der Beweiswert kann erschüttert sein, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank war/ist.
  • Verstößt die AUB gegen Vorgaben aus der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, kann das im Einzelfall den Beweiswert erschüttern.