Mitbestimmung krisenerprobt?
Wissenschaftlichen Studien zufolge sollen mitbestimmte Unternehmen eine hohe Produktivität aufweisen und sie seien wirtschaftlich erfolgreich, so die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung mit Bezug auf das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Richtig ist: In schwierigen Phasen wie der Finanzkrise und während der Corona-Pandemie haben Unternehmen durchaus positive Erfahrungen gemacht, wenn sie mit Arbeitnehmervertretern an einem Strang gezogen haben, um die Konjunkturflaute etwa mit flexiblen Arbeitszeitmodellen zu überbrücken.
Angesichts des anstehenden Wandels der Arbeitswelt infolge des Klimawandels und neuen Technologien reichen die bestehenden Mitbestimmungsrechte aus Perspektive der Gewerkschaften nicht mehr aus. Auch würden diese durch grenzüberschreitende Unternehmenskonstruktionen umgangen.
Vorschlag benennt sechs Handlungsfelder
Der DGB beschreibt jetzt in seinem Vorschlag sechs Handlungsfelder, angefangen bei Belangen des Umweltschutzes und Gleichstellung über die Erweiterung der Mitbestimmung auf Beschäftigte bei den Kirchen bis zu mehr Persönlichkeitsschutz und Regelungen für die Vergütung von Betriebsräten. Beispielsweise sollen gemäß § 28 Abs. 3 BetrVG-E Betriebsräte in Betrieben ab 100 Beschäftigten einen Umweltausschuss bilden. Und § 87 Abs. 1 Nr. 15 BetrVG-E sieht vor, dass der Betriebsrat das Recht zur Mitbestimmung in Fragen der Produktion erhält, die Umwelt- und Klimaschutz tangieren. Bedingt durch Technologien wie Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0 und Homeoffice und deren Einfluss auf die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer fordert der Entwurf in § 87 Abs. 1 Nr. 6 a und b BetrVG-E. Mitsprache bei Maßnahmen zum Persönlichkeits- beziehungsweise Datenschutz. Um die Gründung von Betriebsräten zu erleichtern und die Gremien zu stärken, sollen Arbeitgeber in betriebsratslosen Unternehmen in einer Art Werbeveranstaltung über mögliche Betriebsratswahlen informieren (§ 17 Abs. 1c BetrVG-E). Damit Beschäftigte ihren Beteiligungsrechten besser nachgehen können, sieht § 81 Abs. 5 BetrVG-E ein Recht auf wöchentliche Freistellung für die Dauer von einer Stunde vor.
Im Ergebnis soll es also fast keine mitbestimmungsfreien Maßnahmen mehr geben. Der Gesetzentwurf ist also kein neu konzipiertes Betriebsverfassungsgesetz. Er sieht vielmehr eine Ausweitung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats vor. Die damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten ignoriert der Entwurf. Im Zeitalter der Digitalisierung mutet er anachronistisch an und ist durchzogen von Widersprüchen.
Weitreichender Eingriff in unternehmerische Freiheit
Eine wesentliche Änderung betrifft den Interessenausgleich. Derzeit muss der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung, also beispielsweise einer Teilschließung des Betriebs, einen Interessenausgleich versuchen. Der Interessenausgleich hat die geplante Maßnahme und deren Umsetzung zum Gegenstand, betrifft also die ureigene unternehmerische Entscheidung. Zwar trifft den Arbeitgeber die Pflicht zur Anrufung der Einigungsstelle, wenn ein Interessenausgleich nicht erreicht werden kann. Erzwingen kann der Betriebrat einen Interessenausgleich aber nicht. Der Arbeitgeber kann die Maßnahme also auch ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführen, wenn die Verhandlungen eines Interessenausgleich gescheitert sind. Das soll sich mit dem Gesetzentwurf ändern: Sofern eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht möglich ist, soll nach § 112 Abs. 5 BetrVG-E eine Einigungsstelle über den Interessenausgleich entscheiden. Das ist derzeit nur für den Sozialplan vorgesehen, der auf Basis der geplanten Maßnahme den Ausgleich bzw. die Milderung wirtschaftlicher Nachteile der Beschäftigten regelt. Dies ist ein äußerst weitgehender Eingriff in die unternehmerische Freiheit, weil somit ein betriebsfremder Vorsitzender einer Einigungsstelle über den Umfang zum Beispiel einer Personalanpassung befinden würde.
In die gleiche Richtung gehen auch die Änderungen bei Einstellungen und anderen personellen Einzelmaßnahmen. So soll nach der Vorstellung des DGB der (gesamte) Betriebsrat zu allen Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Im Falle einer Zustimmungsverweigerung zur Maßnahme soll nicht mehr das Arbeitsgericht für deren Ersetzung zuständig sein, sondern die Einigungsstelle. Das soll sogar für den Fall der vorläufigen Durchführung der Maßnahme gelten.
Sehr weitreichend sind auch die vorgeschlagenen Änderungen im Kündigungsschutz nach § 102 BetrVG-E: Danach kann der Betriebsrat künftig widersprechen, wenn aus seiner Sicht eine ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertig ist. Ist das der Fall, müsste der Arbeitgeber binnen zwei Wochen beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Zulassung der Kündigung stellen. Erst nach der Zulassung durch das Arbeitsgericht könnte der Arbeitgeber kündigen. Das ist insoweit vergleichbar mit dem Sonderkündigungsschutz, den Betriebsräte genießen. Notwendig ist diese Kündigungserschwernis nicht. Arbeitnehmer haben die Möglichkeit der Kündigungsschutzklage. In aller Regel schließen Arbeitgeber und gekündigter Mitarbeiter im gerichtlichen Verfahren einen Abfindungsvergleich, das gilt auch für Betriebsräte.
Keine Digitalisierung
Bereits dem Betriebsrätemoderniersierungsgesetz wurde – zu Recht – der Vorwurf gemacht, die betriebliche und gesellschaftliche Wirklichkeit hinsichtlich neuer Technologien viel zu zögerlich umzusetzen. Zwar soll die durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz eingeräumte Möglichkeit, Betriebsratssitzungen auch beispielsweise per Videokonferenz durchzuführen, beibehalten werden. Digitale Sitzungen sollen aber die Ausnahme bleiben und bedürfen einer Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats. Noch deutlicher wird die fehlende Akzeptanz betrieblicher Realitäten bei Einigungsstellensitzungen. Obwohl diese während der Coronapandemie gestützt auf § 129 BetrVG möglich waren und von Betriebsräten wie Arbeitgebern gleichermaßen gut angenommen wurde, ist dies im Gesetzentwurf nicht vorgesehen.
Arbeitgeber fordern „Entstaubung“ und Beschleunigung
Angesichts der aktuellen Herausforderungen durch den Ukrainekrieg und die Folgen der Coronapandemie fordert die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) ein Belastungsmoratorium. Und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nimmt das 50-jährige Jubiläum des Betriebsverfassungsgesetzes zum Anlass, dessen „Entstaubung“ zu fordern. Notwendig sei bespielsweise eine Beschleunigung der Mitbestimmungsverfahren. Es brauche generelle Fristen für die Mitwirkung des Betriebsrates. Für die Mitsprache bei Arbeitszeit und Kommunikationsmitteln schlägt der BDA einen maximalen Zeitraum von drei Monaten vor. Die Verhandlungen sollten darüber hinaus höchstens zwei und die Befassung der Einigungsstelle höchstens einen Monat dauern. In der Fachliteratur wird dem DGB-Reformvorschlag so denn auch mangelndes Problembewußtsein und Orientierung an einer „rückwärtsgewandten Räte-Ideologie“ bescheinigt.
Gemeinsames Ziel: Beschäftigung sichern
Dabei eint Gewerkschafter und Arbeitgeber das gemeinsame Ziel, in Zeiten des Fachkräftemangels Beschäftigung zu sichern und einen Personalabbau nach Möglichkeit zu vermeidenoch die Vorschläge des DGB zu einem erweiterten Betriebsverfassungsgesetz tragen hierzu nicht bei. Vollkommen ohne den Zwang erweiterter Mitspracherechte haben indessen die Allianz der Chancen und der BDA Vorschläge und Konzepte entwickelt, wie sich die Belegschaften für die neuen Jobprofile der Smart Factory und neue Geschäftsmodelle infolge des Klimaschutzes und Wandels zur Elektromobilität weiterqualifizieren können, wie wir bereits berichtet haben. Auch die sogenannten Kornwestheim-Vereinbarungen zeigen, dass es nicht unbedingt einer gesetzlichen Keule bedarf, damit Arbeitgeber, Betriebsräte und Gewerkschaften im Vorfeld etwaiger Betriebsänderungen Ideen, Vorschläge und konkrete Konzepte für eine Neuausrichtung des Betriebs diskutieren. So haben sich die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg im Frühjahr letzten Jahres mit Gewerkschaften und Betriebsräten auf einen Weg zu einem Zukunftstarifvertrag geeinigt, der beispielsweise Arbeitszeitabsenkungen mit Teilentgeltausgleich ermöglicht, um die Transformation zu gestalten. Laut Arbeitgeberverband Südwestmetall ermutige gerade die Flexibilität und der fehlende Zwang die Betriebsparteien, einen solchen Prozess anzustoßen.
Obwohl die politischen Verhältnisse in Berlin derzeit günstig sind, kommt der Reformvorschlag des DGB in dieser Form zur Unzeit angesichts des Ukrainekriegs und der noch nicht ausgestandenen Folgen der Corona-Pandemie. Er ist alles andere als innovativ und geprägt von Widersprüchen. Letztlich soll der Betriebsrat gleichberechtigt neben der Geschäftsführung stehen – ohne selbstredend ein vergleichbares Haftungs- und Unternehmerrisiko tragen zu müssen. Intiativen auf Unternehmensseite und die Zukunftsvereinbarungen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg belegen: Unternehmen wollen infolge des Fachkräftemangels die digitale Transformation bewältigen, indem sie Beschäftigung soweit wie möglich sichern und die vorhandene Belegschaft weiterqualifizieren. Damit das gelingt, sollten sie in ihrer Handlungsfähigkeit aber nicht weiter eingeschnürt werden. Unter diesen Vorzeichen ist es für Arbeitgeber durchaus sinnvoll, sich auf Gespräche einzulassen und sich einen erweiterten Ideenpool zu erschließen, auch wenn sie dazu rechtlich nicht verpflichtet sind. Durch eine möglichst breite Diskussion auf verschiedenen Ebenen über den Weg zur digitalen und grünen Transformation könnte das Management von „Verhinderer“ ausgebremst werden, die einfache Lösungen anbieten, indem alles so bleiben soll wie es ist.