Der Arbeitsplatz ist für viele Beschäftigte auch ein Ort, an dem sie sich eine Meinung bilden und äußern. Grundsätzlich müssen Unternehmen politische Diskussionen dulden. Denn die vom Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit gilt auch im Betrieb.
Rote Linien für die Meinungsfreiheit
Die Grenze verläuft dort, wo der Betriebsfrieden gestört wird: Arbeitgebende haben im Sinne von § 74 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein berechtigtes Interesse daran, dass die Beschäftigten wertschätzend sowie respektvoll miteinander umgehen und störungsfrei zusammenarbeiten. So ist der produktive Arbeitsablauf beispielsweise gefährdet, wenn ein Gespräch unter Mitarbeitern eskaliert. Oder Kollegen und Kolleginnen mit provokanten Themen konfrontiert werden, zu denen sie sich nicht äußern wollen. Spätestens wenn sich Beschäftigte rassistisch äußern, überschreiten sie eine rote Linie, wie sich auch aus § 75 BetrVG ergibt. Unter Umständen ist sogar ein Straftatbestand wie Volksverhetzung, Beleidigung oder Verleumdung erfüllt. Dagegen ist eine Konversation über stark polarisierende Fragen erlaubt, sofern dies nicht zulasten der Arbeitszeit geht. Im Einzelfall ist abzuwägen zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung, der Pflicht zur Rücksichtnahme aus dem Arbeitsverhältnis sowie dem berechtigten Interesse der Arbeitgebenden an einer produktiven Zusammenarbeit aller Beschäftigten.
Konsequenzen: vom klärenden Gespräch bis zur Kündigung
Stören Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter den Betriebsfrieden, indem sie provozieren oder Kollegen anfeinden, hat der Arbeitgeber eine Schutzpflicht und muss eingreifen. Mildestes Mittel ist ein klärendes Gespräch, wobei Personalverantwortliche der Belegschaft nicht gänzlich den Mund verbieten dürfen. Grundsätzlich muss der Arbeitgeber Neutralität gegenüber beiden Seiten wahren. Er kann aber vom Arbeitnehmer verlangen, künftig Äußerungen zu unterlassen, die den Betriebsfrieden stören. Auch eine Abmahnung oder die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb ist denkbar, sofern der Bertriebsrat letzterer zustimmt. Schlimmstenfalls kann der Arbeitgeber kündigen. Ohne vorherige Abmahnung ist dies nur in schweren Ausnahmefällen möglich, etwa bei rassistischen oder antisemitischen Äußerungen, die auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Grundsätzlich kommt es bei der Auswahl der Maßnahme darauf an, ob sie verhältnismäßig ist und den Betriebsfrieden in Zukunft sichert.
Mildestes Mittel wählen
Doch welche Reaktion ist verhältnismäßig, wenn Arbeitgeber mit einer Meinungsäußerung nicht einverstanden sind? Mit dieser Frage befasste sich das Landesarbeitsgericht Sachsen in der Entscheidung vom 24.02.2022 (Az.: 2 Sa 453/20). Ein Produktionsmitarbeiter hatte ohne Genehmigung am Werkstor Flugblätter verteilt, obwohl dies im Betrieb ohne einen dienstlichen Grund per Betriebsvereinbarung verboten war. Daraufhin wurde der Mitarbeiter abgemahnt. Er klagte auf Entfernung der seiner Meinung nach fehlerhaften Abmahnung aus der Personalakte. Die Chemnitzer Arbeitsrichtern stellen in dem Urteil klar: Der Arbeitgeber muss das mildeste Mittel als Reaktion auf eine Pflichtverletzung wählen: also beispielsweise eine Ermahnung, einen Verweis oder eine Verwarnung. Er soll die Pflichtverletzung rügen, ohne gleich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu drohen. Bei einer zu Unrecht erteilten Abmahnung kann der Beschäftigte die Entfernung aus der Personalakte verlangen.
Privates bleibt privat – auch in Social Media?
Außerhalb der Arbeitszeit gilt: Privates bleibt privat. Wenn Beschäftigte sich in einem vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen äußern, können sie laut Bundesarbeitsgericht erwarten, dass die Inhalte der Konversation nicht nach außen getragen werden. Falls doch, hat dies in der Regel keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen (BAG-Urteil vom 10.12.2009, Az.: 2 AZR 534/08). Häufig kommt es aber zu Streit vor den Gerichten wegen Meinungsäußerungen in den sozialen Netzwerken. Arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen etwa bei fremdenfeindlichen Äußerungen immer dann, wenn das Social Media-Profil einen Bezug zum Arbeitgeber zulässt. Das ist sehr schnell der Fall, sofern Beschäftigte sich beispielsweise in ihrem Linkedin-Profil als Mitarbeiter des Unternehmens zu erkennen geben. So kann eine Kündigung rechtmäßig sein, wenn Beschäftigte sich ruf- oder geschäftsschädigend äußern und damit eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzen.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied über die Frage, ob Unternehmen eine Kündigung mit Protokollen privater Chats in Messenger-Diensten wie WhatsApp begründen können. Und dürfen diese in einem etwaigen Kündigungsschutzprozess auch verwertet werden? Im konkreten Fall ging es um die Kündigung des technischen Leiters eines gemeinnützigen Vereins, der überwiegend in der Flüchtlingshilfe tätig ist. Der Verein begründete die Kündigung mit sehr herabwürdigenden und verächtlichen Äußerungen über Geflüchtete und in der Flüchtlingshilfe tätige Menschen in einem WhatsApp-Chat.
Vertrauliche WhatsApp-Nachrichten als Kündigungsgrund?
Das LAG Berlin Brandenburg hielt es zwar für zulässig, die im Chat gefallenen Äußerungen gerichtlich zu verwerten. Wie schon die Vorinstanz bestätigte es aber die Unwirksamkeit der Kündigung: Es liege keine Pflichtverletzung vor, die eine Kündigung rechtfertige, weil die vertrauliche Kommunikation im Chat unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts falle. Der technische Leiter habe sich in sehr kleinem Kreis mit privaten Handys geäußert und dies sei erkennbar nicht auf Weitergabe an Dritte, sondern auf Vertraulichkeit angelegt gewesen. Eine fehlende Eignung für die Tätigkeit erkannten die Richter nicht, weil der gekündigte Kläger keine unmittelbaren Betreuungspflichten wahrnehme. Anders als die Vorinstanz hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis jedoch auf Antrag des Vereins gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Im Sinne des § 9 Kündigungsschutzgesetzes sei keine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mehr zu erwarten.
Arbeitgebende haben ein schützenswertes Interesse daran, dass der Betrieb reibungslos läuft. Zugeich steht Beschäftigten auch am Arbeitsplatz die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit zu. Die Abwägung der Rechte ist im Einzelfall schwierig. Komplexe Fragen ergeben sich auch, wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Social Media äußern, da oft nicht trennscharf zu unterscheiden ist zwischen der rein persönlichen Kommunikation und derjenigen mit Bezug zum Arbeitgeber. Nur letztere ist arbeitsrechtlich relevant. Um Konflikten vorzubeugen, können Führungskräfte und HR klar kommunizieren, welche roten Linien das Unternehmen zieht. Eine Orientierungshilfe bieten auch Social Media Guidelines für den rechtmäßigen Umgang mit Kollegen, Kunden und Wettbewerbern. Werden Grenzen überschritten, müssen sich Arbeitgebende bei der Auswahl der arbeitsrechtlichen Konsequenzen am Grundsatz der Verhätnismäßigkeit orientieren.