EU Taxonomie: Wie misst man das „S“ in ESG?

 Plattform für nachhaltiges Finanzwesen legt Empfehlungen für soziale Taxonomie vor.

EU Taxonomie: Wie misst man das „S“ in ESG?

Die Europäische Union will künftig nicht nur ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten klassifizieren. Unternehmen sollen auch an sozialen Kriterien gemessen werden. Eine Expertengruppe der Europäischen Kommission hat Mitte Oktober Empfehlungen für die Umsetzung veröffentlicht. Doch dabei lauern Tücken.

Mit der EU Taxonomie für ökologisches Wirtschaften hat die Europäische Union Kriterien entwickelt für nachhaltige, den Klimaschutz förderdernde Finanzanlagen. Dazu zählen beispielsweise Investments in erneuerbare Energien oder in die Kreislaufwirtschaft. Folgen soll nun eine Taxonomie, um sozial nachhaltige Investitionen zu messen. Ziel ist ebenfalls, Finanzströme nach Kriterien wie Environment Social und Governance (ESG) zu lenken, hier mit dem Fokus auf sozialen Aspekten. Die EU Kommission hat mit der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen eine Expertengruppe eingesetzt, die Ende Februar erste Vorschläge veröffentlicht hat, wie sich eine Sozial-Taxonomie entwickeln lässt. In Anlehnung an die Corporate Sustainability Reporting Directive wird zwischen den Stakeholdern Arbeitnehmern, Verbraucher, Kommunen und Gesellschaft differenziert. Im Kern geht es um drei vorrangige Ziele: Gute Arbeitsbedingungen für Beschäftigte, angemessene Lebensstandards der Verbraucher und eine Gesellschaft, die nach Prinzipien der Inklusion und Nachhaltigkeit handelt. Menschen- und Arbeitsrechte sollen besser gewahrt, Bestechung und Korruption eingedämmt werden.

Ökologie kann mit sozialer Nachhaltigkeit kollidieren

Damit wagt sich Brüssel nun an ein noch strittigeres Thema. Was sozial ist, lässt sich nur sehr schwer allgemeingültig definieren. Hinzu kommt, dass Widersprüche zur ökologischen Nachhaltigkeit möglich sind: So kann beispielsweise die Transformation zur Elektromobilität für mehr Klimaschutz auch mit Jobverlusten verbunden sein. Etwa bei Automobilzulieferern, die bisher Getriebe für Verbrennermotoren herstellen.

Vor allem aber gibt es für eine Sozial-Taxonomie bislang kaum belastbare Daten. Das macht es sehr schwer, konkrete Maßnahmen abzuleiten. In vielen Bereichen fehlen quantitative Maßstäbe. Anders als bei der Umwelt-Taxonomie gibt es wenig wissenschaftlich fundierte Nachhaltigkeitsziele und -kriterien. Grundsätzlich sind die meisten Wirtschaftsaktivitäten als sozial nützlich anzusehen, weil sie menschenwürdige Arbeitsplätze schaffen, Steuern gezahlt werden und für Verbraucher nützliche Güter hergestellt werden. Eine Sozial-Taxonomie muss also unterscheiden zwischen dem inhärenten Nutzen der Wirtschaftstätigkeit und einem zusätzlichen sozialen Nutzen: etwa ein besserer Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung entlang der Lieferkette oder Maßnahmen zur Inklusion von Menschen mit Behinderung.

Umsetzungsvorschläge der EU-Expertengruppe

Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen hat nun am 11. Oktober Vorschläge für die Umsetzung durch Unternehmen und Finanmärkte veröffentlicht. Sie gibt darin Hinweise, wie sich ein Mindestschutz einhalten lässt. Damit soll insbesondere die Zeit überbrückt werden, solange die EU-Vorschriften Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDD) noch nicht anzuwenden sind.

Vier Kernthemen für Mindestmaßnahmen

Gemäß Art. 18 der EU Taxonomie-Verordnung orientiert sich der Mindestschutz an Standards wie den OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen, den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation sowie grundliegenden Prinzipien und Rechten bei der Arbeit sowie der internationalen Menschenrechtscharta. Die Plattform für nachhhaltiges Finanzwesen identifiziert vier Kernthemen für die Einhaltung von Mindestmaßnahmen:
• Menschrechte einschließlich Arbeitnehmerrechten,
• Bestechung und Korruption,
• Besteuerung,
• Fairer Wettbewerb.
Bis die neuen Berichtspflichten nach der Corporate Sustainability Reporting Directive sowie die verschärften Sorgfaltspflichten gemäß Corporate Sustainability Due Diligence Directive gelten, schlagen die Experten folgendes Vorgehen vor: Die Mitgliedsstaaten sollen die Anforderungen an die Einhaltung der Mindestmaßnahmen auf die in Artikel 18 genannten internationalen Standards stützen, insbesondere auf die UN-/OECD-Leitlinien. Darüber hinaus sollen sie Unternehmen unabhängige Informationsquellen zu bestimmten Aspekten zur Verfügung stellen, wie sich der Mindestschutz für externe Leistungsprüfungen umsetzen lässt. Beispiele sollen veranschaulichen, wann eine Nichteinhaltung der Mindestgarantien droht.

Handlungsbedarf in den Personalabteilungen der Unternehmen

Die Experten definieren keine konkreten Pflichten für Unternehmen, sondern liefern nur Anhaltspunkte wie sich eine soziale Taxonomie umsetzen lässt.
Nichtsdestotrotz lohnt vor allem für die Personal- und HR-Abteilungen ein Blick in den Bericht der Plattform, wenn Unternehmen neue Due-Diligence-Prozesse aufsetzen oder bestehende daraufhin überprüfen, ob sie den Mindestschutz gemäß der oben genannten Standards in den vier Kernbereichen künftig einhalten. Es geht der Expertengruppe insbesondere darum, die Einhaltung der Mindeststandards als dauerhaften Prozess zu verstehen mit dem Ziel einer permanenten Überwachung und Verbesserung.

Laut aktuellem Weltbankbericht wird die Armut infolge der Covid-Pandemie weltweit weiter zunehmen. Trotz der Tücken für die Praxis ist nicht damit zu rechnen, dass die EU Kommission die Pläne für die soziale Taxonomie aufgibt. Deshalb sollten Unternehmen die weitere Entwicklung bei der sozialen Taxonomie auf dem Radar haben. Auch Fragen der Menschen- und Arbeitnehmerrechte werden künftig an Bedeutung für Finanzierungskonditionen gewinnen. Die Sozial- und Gesundheitswirtschaft mahnt sogar ausdrücklich Fortschritte bei der Sozial-Taxonomie an, um weiterhin attraktiv für Investoren zu sein und fehlendes Verbesserungspotential hinsichtlich ihres Umwelt-Impacts mit ihrer Gemeinwohlorientierung wettmachen zu können.

HR-Abteilungen bekommen den Druck zu mehr ESG-Compliance vermehrt zu spüren. Umso mehr gilt es, Doppelarbeit und Mehraufwand zu vermeiden durch einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die Sozial-Taxonomie im Blick hat als auch die neuen CSRD-Berichtspflichten und das geplante EU-Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (CSDD), das noch strengere Anforderungen an Unternehmen stellt als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.