Brexit Reloaded (3): Auswirkung des Brexit auf das anwendbare Recht.

 Welche Auswirkungen hat der Brexit auf das anwendbare Recht in Gerichtsverfahren? Was kann man tun?

Brexit Reloaded (3): Auswirkung des Brexit auf das anwendbare Recht.

Die erste Folge der „Brexit-Trilogie“ hat die Folgen für Gerichtsverfahren beleuchtet, die zweite Folge die Auswirkungen auf die Vollstreckung. In diesem dritten Teil soll es nun um die Folgen eines möglichen harten Brexit auf das in Gerichtsverfahren anwendbare Recht gehen.

Das Vereinigte Königreich (UK) ist zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Die EU und UK haben am 17.10.2019 bereits ein Austrittsabkommen geschlossen, das einige wichtige Punkte regelt (bspw. den Status von in der EU lebenden Briten und umgekehrt und die irische Grenze). Eine ganz wesentliche Regelung des Abkommens besteht in der Fortgeltung von EU-Recht in UK zwischen dem 01.02.2020 (Austritt) und dem 31.12.2020. Diese Übergangsphase soll dazu dienen, ein endgültiges Abkommen zu verhandeln, das dann alle wichtigen offenen Punkte regelt. Dazu gehört auch die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und das in Gerichtsprozessen anwendbare materielle Recht. Das Problem dabei: es sieht im Moment nicht danach aus, als würden sich EU und UK auf ein solches Abkommen einigen.

Dieser Insight behandelt daher als zweiter von drei Teilen die Auswirkung eines möglichen „harten Brexits“, also eines Brexit ohne (endgültiges) Austrittsabkommen auf das in Gerichtsverfahren anwendbare materielle Recht. Das ist ein Thema, das auf den ersten Blick sehr theoretisch erscheint, aber praktisch gravierende Auswirkungen hat. Der Artikel startet deshalb mit ein paar Basics zum Kollisionsrecht (1.), bevor er dann den Status Quo unter noch geltendem EU-Recht behandelt (2.) und sich letztlich den Auswirkungen eines harten Brexit (3.) sowie den möglichen Konsequenzen für Unternehmer widmet (4.).

1. Kollisionsrecht Basics!

Eine Erkenntnis, die erfahrungsgemäß bei vielen Mandanten für Überraschung sorgt:

Ein Gericht entscheidet nicht zwingend nach seinem Heimatrecht!

Ein deutsches Gericht wendet zwar immer deutsches Prozessrecht an (Fristen, Beweisregeln, Zuständigkeiten), aber ein deutsches Gericht wendet nicht unbedingt deutsches materielles Recht an. Materielles Recht sind dabei alle Gesetze, die Rechtsverhältnisse inhaltlich regeln. Ein deutsches Gericht kann beispielsweise französisches Handelsvertreterrecht anwenden. Oder niederländisches Vertragsrecht. Oder japanisches Gesellschaftsrecht. Oder argentinisches Arbeitsrecht.

Jedes Gericht weltweit bestimmt das anwendbare Recht dabei nach seinen eigenen Kollisionsregeln. Diese Kollisionsregeln werden auch Internationales Privatrecht (IPR) genannt. Das Internationale Privatrecht oder Kollisionsrecht regelt dabei ganz wichtige Fragen:

  • Nach welchen Kriterien bestimmt sich das anwendbare Recht in bestimmten Vertragsverhältnissen?
  • Unter welchen Voraussetzungen ist eine Rechtswahl möglich?
  • Welche Grenzen hat der Grundsatz, dass ein Gericht ausländisches materielles Recht anwenden muss?

Wie dieses Internationale Privatrecht in Deutschland, der EU und UK aussieht, steht unten („2. Status Quo“). Vorab noch ein wichtiger Hinweis: Vorrangig vor nationalem Recht, das durch das IPR ermittelt wird, ist vereinheitlichtes (harmonisiertes) materielles Recht. Das entsteht dadurch, dass entweder die EU oder sogar sonstige Staaten auf einheitliches materielles Recht einigen. Das ist insofern für international agierende Unternehmen wichtig, als dass es diesen das Leben unglaublich vereinfachen kann. Man muss sich dann nicht das materielle Recht unterschiedlicher Länder kennen, sondern nur das harmonisierte Recht. Ein Paradebeispiel dafür ist das UN-Kaufrecht. Jedes exportierende Unternehmen muss diese Möglichkeit kennen. Viel zu häufig sehen wir noch unbedachte Ausschlussklauseln. Es mag Gründe geben, das UN-Kaufrecht auszuschließen, aber Unkenntnis desselben sollte keiner sein (s. auch: 9 Gründe für das UN-Kaufrecht).

2. Status Quo

Ok, und wie ist nun das Kollisionsrecht / IPR in der EU (und übergangsweise im Verhältnis zu UK) geregelt?

In der sog. Rom I-Verordnung (förmlich: Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht). Die Verordnung gilt in allen Mitgliedsstaaten der EU direkt. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist also einheitlich und transparent. Das sorgt für Rechtssicherheit.

Ein paar Beispiele:

  • Grundsätzlich können die Parteien eines Vertrages das anwendbare Recht frei wählen (Art. 3). Das geschieht unter ein paar Einschränkungen. Insbesondere werden Verbraucher und Arbeitnehmer geschützt. Eine Rechtswahl soll nicht zu ihren Ungunsten erfolgen.
  • Ansonsten gilt das Heimatrecht der Vertragspartei mit der sog. „charakteristischen Leistung“, also beim Handelsvertretervertrag das Recht des Handelsvertreters (Art. 4, Abs. 1, lit. f), beim Kaufvertrag das Recht des Verkäufers (Art. 4, Abs. 1, lit. a). Charakteristisch ist meistens die Leistung, die nicht die Geld-Leistung ist. Das ist aber manchmal schwer zu bestimmen. Wie sieht das z. B. beim Darlehensvertrag aus?
  • Abtretung von Forderungen richtet sich nach dem Recht zwischen den Parteien der Abtretung, aber das Recht, das auf die Forderung anwendbar ist, spielt auch eine Rolle (Art. 14).

Es kann wirklich kniffelig werden und in Prozessen wird teilweise schon mal über Wochen oder Monate nur über das anwendbare Recht gestritten. Das kann sich aber auch – jedenfalls in Verfahren mit hohem Streitwert – auch lohnen, denn oft entscheidet das eine oder andere Recht den Rechtsstreit zugunsten oder zulasten der einen oder anderen Partei.

Nun war das IPR / Kollisionsrecht bisher einheitlich geregelt. Deutschland und UK hatten dieselben Regeln, die darüber bestimmten, ob deutsches oder englisches Handelsvertreterrecht oder Kaufrecht zur Anwendung kommt. Das würde sich bei einem harten Brexit ändern.

3. Und was passiert nun?

Es wird nicht einfacher. Bei einem harten Brexit wird das Vereinigte Königreich sein eigenes IPR (zurück-) bekommen. Wie das aussehen wird, ist noch unklar. Auch wenn die Stellschrauben klein sind, können diese zu gravierend anderen Ergebnissen führen. Wenn das IPR in UK nur geringfügig anders aussieht, würde davon die Verweisung an ein bestimmtes Recht abhängen und davon das Schicksal eines Rechtsstreits.

Aber hier sind zwei Szenarien zu unterscheiden:

  • Für Verträge, die vor dem 31.12.2020 abgeschlossen wurden, wird das anwendbare Recht weiter nach der Rom I-Verordnung bestimmt (Art. 66 des EU-UK Withdrawal Agreement, das nicht abschließend ist, s. o.).
  • Für Verträge, die nach dem 31.12.2020 abgeschlossen werden, ist die Bestimmung des anwendbaren Rechts unklar. Aber auch dies ist noch einmal zu unterteilen. EU-Gerichte werden auch weiterhin die Rom I-Verordnung anwenden, selbst wenn ein UK-Unternehmen beteiligt ist. Das liegt daran, dass die Rom I-Verordnung universell anwendbar ist (Art. 2). Das ist etwas anders als hinsichtlich der Verordnung zur gerichtlichen Zuständigkeit und Vollstreckung. Wenn nun aber derselbe Rechtsstreit vor einem Gericht in Großbritannien oder Nordirland entschieden wird, ist noch nicht klar, welche IPR-Regeln das Gericht anwendet. Das wird für Rechtsunsicherheit sorgen.

4. Was ist zu tun?

Unternehmer sollten sich zunächst bewusst sein, dass es im Verhältnis zu UK zu mehr Rechtsunsicherheit kommt. Gänzlich ausgeliefert ist aber kein Unternehmer und Handel mit UK-Unternehmen wird auch bei einem harten Brexit möglich sein.

Grundsätzlich sollten Verträge mit UK-Unternehmen (aber nicht nur) zwei Dinge zwingend beinhalten:

  • eine sorgfältig geprüfte Rechtswahlklausel, die bei einem Rechtsstreit der Prüfung des Gerichts standhält;
  • eine Schiedsklausel oder eine mit der Rechtswahlklausel abgestimmte Gerichtsstandsvereinbarung.

Zu beidem ist ohnehin zu raten, wird aber im Verhältnis zu UK immer wichtiger. Schiedsklauseln werden attraktiver werden (Brexit Reloaded (1): Auswirkung des Brexit auf Gerichtsverfahren), Klauseln zur Wahl des zuständigen Gerichts müssen Unternehmen mit Bedacht und Voraussicht wählen und dabei im Zweifel deutsche Gerichte wählen.

Man vermisst nur das, was man nicht mehr hat. So ist es auch beim Brexit. Das Vereinigte Königreich wird in der EU fehlen und die EU wird dem Vereinigten Königreich fehlen. Der gemeinsame Rahmen, den das Zivilprozessrecht und das anwendbare Recht der EU für EU und UK bedeutet hat, wird ebenso fehlen und Rechtsunsicherheit wird folgen. Aber mit ein paar einfachen Schritten und achtsamer Planung sind viele Folgen des Brexit für Unternehmen, die mit UK Handel treiben, abzufedern.

Bei Fragen zum Brexit hilft Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Johannes Brand.