Wie zuletzt schon in diesem BLOG berichtet, hat das Justizstandort-Stärkungsgesetz durch den neuen § 119b Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Möglichkeit geschaffen, bei den Oberlandesgerichten sog. Commercial Courts zu schaffen. § 184a Abs. 1 GVG schafft zudem die Möglichkeit, Verfahren vor Kammern an Landesgerichten zu bestimmten Sachgebieten (identisch wie jene der Commercial Courts) in englischer Sprache zu führen. Diese Kammern nennen sich dann Commercial Chambers.
Das GVG entscheidet aber nicht darüber, wo diese Gerichte entstehen. Vielmehr überlässt das Gesetz es den Bundesländern über die Errichtung und die genaue Ausgestaltung der Commercial Courts zu entscheiden. Doch wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung in den Bundesländern. Was bedeutet dies für die Entscheidung von Unternehmen, statt einer Schiedsklausel die Zuständigkeit eines Commercial Courts (oder einer Commercial Chamber) zu vereinbaren? Und sind Commercial Courts (und Commercial Chambers) nun tatsächlich Alternativen zu Schiedsgerichten?
Umsetzung in den Bundesländern
Neun von 16 Bundesländern haben die Errichtung von Commercial Courts per Verordnung bereits beschlossen oder planen, dies in naher Zukunft zu tun. Die Commercial Courts sind Senate an den Oberlandesgerichten und erstinstanzlich für Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens EUR 500.000,00 zuständig, wie sich aber schon aus § 119b Abs. 1 GVG ergibt.
Erst aus den Verordnungen der Länder ergibt sich dagegen die konkrete Zuständigkeit der Commercial Courts. Bremen beispielsweise hat eine Verordnung erlassen, nach der vor dem Bremer Commercial Court Ansprüche aus Fracht-, Speditions- oder Lagergeschäfte, Wasserstoff-, Luftfahrt- und Raumfahrttechnologie verhandelt werden sollen. Der Commercial Court in Baden-Württemberg möchte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten anziehen, während der Commercial Court in NRW es auf Bau- und Architektenrecht, Versicherungsrecht und Gesellschaftsrecht abgesehen hat.
Andere Bundesländer haben angekündigt Commercial Courts und Commercial Chambers zu schaffen, dies aber noch nicht durch die notwendige Verordnung umgesetzt.
Commercial Court oder Schiedsklausel?
Aber was bedeuten die Erkenntnisse über die Umsetzung der Länder nun konkret? In unserem BLOG-Beitrag vom 21.11.2024 hatten wir an dieser Stelle noch von acht Vorteilen der Commercial Courts gesprochen. Aber sind diese Vorteile nach der konkreten Umsetzung immer noch erkennbar und ergeben sich möglicherweise auch Nachteile aus der Umsetzung?
Zunächst sind alle geschilderten Vorteile auch nach der Umsetzung in den einzelnen Bundesländern noch gegeben. Ein Verfahren vor den Commercial Courts führt zu einer Instanzenverkürzung, da die Berufung direkt zum BGH geht. Auch die Spezialisierung dürfte sich nach den ersten konkreten Ausgestaltungen als Vorteil erweisen. Teilweise, wie in Bremen, sind die ausgestalteten Zuständigkeiten so spezifisch, dass von den Richterinnern und Richtern alleine durch eine höhere „Schlagzahl“ eine hohe Kompetenz erwartet werden kann.
Effizientere Verfahren als vor den Kammern für Handelssachen sind durch die Case Management-Termine sicherlich auch zu erwarten. Englisch als Verhandlungssprache, Wortprotokolle, Geheimhaltung und Kosten (gegenüber Schiedsverfahren) sollten sich als Vorteile wie im Artikel vom 21.11.2024 beschrieben, auch in der Praxis bewahrheiten.
Und rein praktisch dürften die Commercial Courts ein gewaltiges Asset haben: Sie starten neu. Die Commercial Courts als Senate an den Oberlandesgerichten können also ohne Rückstände an Akten direkt den neu eingehenden Fällen widmen.
Im Vergleich zu Schiedsverfahren ergeben sich bei Betrachtung der konkreten Ausgestaltungen aber Nachteile. Zum einen ergibt sich bei konkreter Betrachtung ein Flickenteppich. Anstatt, dass sich beispielsweise Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein (ggf. noch mit Mecklenburg-Vorpommern) zusammenschließen, um einen einheitlichen Commercial Court zu gründen, der sich maritimen Themen widmet, entstehen Commercial Courts in Bremen, Hamburg und Celle (!), während Schleswig-Holstein keinen Commercial Court hat. Es entstehen zerklüftete Justizlandschaften mit teilweise exotischen Spezialzuständigkeiten.
Rechtsanwender wirden es daher nicht einfach haben, den für sie passenden Commercial Court zu ermitteln. Zumal ja vorab nicht ersichtlich ist, welchen Streitwert die konkrete Streitigkeit dann haben wird. Bei einem Streitwert unter EUR 500.000,00 ist der Commercial Court dann gar nicht zuständig und es geht zu den Commercial Chambers (soweit vorhanden) oder doch vor die Kammer für Handelssachen.
Bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten bleibt es zudem bei den bekannten Vollstreckungsproblemen deutscher Urteile außerhalb von EU und EWR, wo Schiedsurteile aufgrund des New Yorker Übereinkommens deutlich besser vollstreckbar sind.
Die richtige Streitbeilegungsklausel bleibt eine Frage des Einzelfalls. Die Commercial Courts schaffen eine echte Alternative zu Schiedsgerichten, aber ihre Wahl sollte immer im Einzelfall anhand der wirtschaftlichen und tatsächlichen Interessenslage geprüft werden.