Handels- und vertriebsrechtliche Streitigkeiten (häufig „Commercial Litigation“ genannt) drehen sich um Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Lieferung, Ausgleichsansprüche aus der Beendigung von Vertragshändlerverträge, Provisionsansprüche aus Handelsvertreterverträgen oder schlicht unbezahlter Kaufpreisforderungen aus B2B-Warenlieferverträgen. Wenn solche Ansprüche nicht erfüllt werden, entstehen regelmäßig Verzugszinsen.
Welches Recht ist anwendbar?
Da Handel und Vertrieb selten rein national geschehen, ist bei der Frage nach rechtlichen Implikationen immer zunächst zu fragen: Nach welchem Recht richtet sich der Anspruch? Darüber entscheidet das Kollisionsrecht oder Internationales Privatrecht. Verzugszinsen richten sich zumindest innerhalb der Europäischen Union grundsätzlich nach dem Heimatrecht des Verkäufers, Handelsvertreters oder Vertragshändlers (Art. 4 lit. a) und b) Rom I-Verordnungen). Im Einzelfall kann aber eine Rechtswahl vorrangig sein oder die Bestimmung des anwendbaren Rechts aus sonstigen Gründen schwierig sein.
Die rechtlichen Grundlagen im deutschen Recht
Wenn wir aber davon ausgehen, dass deutsches Recht anwendbar ist, dann finden sich die Vorschriften zum Verzug im BGB. Nach § 286 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine Geldschuld während des Verzuges zu verzinsen. Verzug tritt nach § 286 Abs. 1 BGB nach einer Mahnung ein oder automatisch 30 Tage nach Erhalt einer Rechnung.
Der Zinssatz liegt bei fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 286 Abs. 1 S. 1 BGB) und für Entgeltforderungen im B2B-Bereich sogar bei neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 286 Abs. 2 BGB).
Wichtig: „Entgeltforderungen“ sind nicht alle Geldschulden. Bei einer Zahlungsforderung aus einem Kaufvertrag handelt es sich um eine „Entgeltforderung“ (ergo: neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz), bei einer Schadensersatzforderung nicht (ergo: fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz).
Was bedeutet das in Zahlen?
Der Basiszinssatz liegt aktuell bei 3,37 Prozent, der effektive Zinssatz für eine zu verzinsende Kaufpreisforderung also bei 12,37 Prozent. Bei zwei Jahren Prozess kämen also weitere 25 Prozent zur Forderung hinzu.
Strategische Überlegungen aus Klägersicht
Zunächst sollten die Verzugszinsen als Nebenforderungen eingeklagt werden, wenn eine außergerichtliche Einigung nicht in Betracht kommt. Die Verzugszinsen sind auch nicht streitwerterhöhend, fallen also bei einem Unterliegen grundsätzlich nicht ins Gewicht.
Sehr selten sind Forderungen wirklich unstreitig. Wenn allerdings der Schuldner sich wirklich nur drückt und eine offensichtliche Verzögerungstaktik wählt, kann ein Verweis auf die Verzugszinsen Wunder wirken. Aus Klägersicht kann es – bei ausreichender Liquidität – dann tatsächlich eine Option sein, den Anspruch im Prozess weiter verzinsen zu lassen.
Spätestens bei Vergleichsverhandlungen sollte man die Verzugszinsen aber immer einbringen. Auf die Verzugszinsen von vornherein zu verzichten, ist jedenfalls reines „Volunteering“, verschenkt und daher schlecht verhandelt. Das bedeutet nicht, dass man die Verzugszinsen nicht als Verhandlungsmasse später aufgeben kann, aber man sollte es eben nicht von Anfang an tun.
Strategische Überlegungen aus Beklagtensicht
Aus Beklagtensicht sind Verzugszinsen ein eher unangenehmes Verhandlungsthema. Wer sich des Anspruches der Gegenseite relativ sicher ist, sollte die Verzugszinsen im Blick haben. Eine anfänglich attraktive Verzögerungstaktik entpuppt sich dann als teuer.
Aussicht: Pläne der EU zu einer Verzugsverordnung
Die EU arbeitet aktuell übrigens an einer „Verordnung zur Bekämpfung
von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“. Die Verordnung könnte eine Begrenzung von Zahlungsfristen beinhalten, die derzeit im deutschen Recht nur in § 271a Abs. 1 BGB ansatzweise enthalten ist (Fälligkeiten über 60 Tage sind nur im Ausnahmefall zulässig). Das könnte Verzugszinsen deutlich früher anfallen lassen.
Verzugszinsen sind ein entscheidender Faktor in Commercial Litigation. Sie bieten Klägern strategisches Potenzial und fordern Beklagte zur proaktiven Verhandlung auf.