BAG: Urlaub verfällt nur, wenn der Arbeitgeber darauf hinweist.

 Keine automatische Verjährung nach drei Jahren – Mitwirkungspflicht auch bei langer Krankheit.

BAG: Urlaub verfällt nur, wenn der Arbeitgeber darauf hinweist.

Kurz vor Weihnachten bescherte das Bundesarbeitsgericht Arbeitgebern ein Urteil mit weitreichenden Folgen: Ansprüche auf Resturlaub können danach noch Jahre später geltend gemacht werden. Weder verfallen die freien Tage automatisch, noch verjähren sie automatisch nach drei Jahren. Die Hinweispflicht für drohenden Urlaubsverfall gilt auch bei langer Krankheit. Wir beleuchten die Konsequenzen für HR.

Was für Unternehmen Planungssicherheit schafft, sorgt bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oft für Verdruss: Der Verfall des nicht genommenen Resturlaubs. Das gilt insbesondere, wenn der Verzicht auf die freien Tage betrieblichen Erfordernissen geschuldet ist. Dementsprechend häufig streiten Arbeitgeber und Beschäftigte vor den Arbeitsgerichten über Abgeltungsansprüche für nicht genommenen Urlaub.

BAG folgt EuGH-Urteil

Wie bereits berichtet, ist bereits gängige Rechtsprechung: Der Anspruch auf freie Tage verfällt gemäß § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz nicht automatisch am 31.12. beziehungsweise am 31.03. des Folgejahres. Stattdessen besteht laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebenden: Er muss nicht nur darauf hinweisen, dass ein Verfall droht. Vielmehr muss er den Arbeitnehmer auch dazu anhalten, den Resturlaub in Anspruch zu nehmen (C-619/16 und C-684/16). Erst kürzlich entschied der EuGH in einem sogenannten Vorabentscheidungsverfahren darüber hinaus: Ein Urlaubsanspruch verjährt nicht ohne Weiteres, sondern nur, wenn der Arbeitgeber dieser Mitwirkungspflicht nachgekommen ist.

Kein Hinweis, keine Verjährung!

Nichts Neues also? Doch: Das aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts greift die EuGH-Rechtsprechung auf und stellt klar: Urlaubsansprüche können auch noch aus früheren Jahren geltend gemacht werden, sofern der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nachkommt. In diesem Fall kann er sich auch nicht auf die dreijährige Verjährung nach §§ 195 und 199 des Bürgerlichen Gesetzbuchs berufen. Die Verjährungsfrist beginne erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Beschäftigten über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat. Und in dem der Arbeitnehmer den Urlaub dann aus freien Stücken trotzdem nicht genommen hat. Das heißt: Fehlt es am Hinweis des Arbeitgebers oder konnte der Arbeitnehmer den Urlaub etwa aus betrieblichen Gründen nicht nehmen, kann er Ansprüche noch Jahre später geltend machen. Oder er kann bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz Abgeltung für die nicht genommenen freien Tage verlangen.

Über 20 Jahre 101 Urlaubstage gesammelt

Im konkreten Fall hatte eine Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin aus Nordrhein-Westfalen geklagt. Sie hatte über mehr als 20 Jahre 101 Urlaubstage angesammelt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezahlte der beklagte Arbeitgeber zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto an die Klägerin. Ihrer Forderung, auch die übrigen Urlaubstage aus den Vorjahren abzugelten, kam er nicht nach.
Während die erste Instanz im Februar 2018 die Klage der Steuerfachangestellten zurückgewiesen hatte, sprach ihr das Landesarbeitsgericht Düsseldorf 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu. Es teilte die Auffassung des Beklagten nicht, dass die geltend gemachten Urlaubsansprüche verjährt seien. Dagegen klagte der Arbeitgeber vor dem Bundesarbeitsgericht – ohne Erfolg.

BAG: Arbeitgeber hat Rechtssicherheit selbst in der Hand

Mit der aktuellen Entscheidung setzen die Erfurter Richter die Vorgaben des EUGH um: Der Zweck der Verjährungsvorschriften und die Gewährleistung von Rechtssicherheit für den Arbeitgeber stünden in diesem Fall hintenan. Vorrangig sei das Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, indem er die Möglichkeit hat, Erholungsurlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber könne Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole. Dagegen könne Rechtssicherheit nicht als Argument dienen, um zuerst den Arbeitnehmer mangels Hinweis nicht in die Lage zu versetzen, seinen Jahresurlaub auch tatsächlich zu nehmen. Und sich dann im Anschluss auf sein eigenes Versäumnis zu berufen. Den Anspruch auf Abgeltung habe die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.

Wann verfällt Urlaub bei Krankheit?

In einem weiteren Verfahren stellte das Bundesarbeitsgericht klar: Die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers gilt auch für Beschäftigte, die lange Zeit erkrankt sind.
Wie bereits berichtet, verfällt der Urlaubsanspruch grundsätzlich 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend krank war bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres. In diesem Fall kommt es laut den Erfurter Richtern nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist. Denn in diesem Fall hätte er nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs beitragen können.
Anders verhielt es sich aber in dem jetzt entschiedenen Fall: Ein Arbeitnehmer mit einer Schwerbehinderung war bei einer hessischen Flughafengesellschaft beschäftigt. Vom 1. Dezember 2014 bis August 2019 war er wegen voller Erwerbsminderung arbeitsunfähig und konnte deshalb seinen Urlaub nicht nehmen. Mit seiner Klage machte er Resturlaub aus dem Jahr 2014 geltend. Dieser sei nicht verfallen, weil der Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nachgekommen sei, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken.

Entscheidend ist: Konnte der Mitarbeiter überhaupt Urlaub nehmen?

Die Erfurter Richter gaben ihm recht: Der klagende Arbeitnehmer habe im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig wurde. In diesem Fall setze die Befristung des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, so das Bundesarbeitsgericht.

Welche Konsequenzen muss HR ziehen?

Eine Überrraschung sind beide Urteile nicht: In großen Unternehmen haben Personalabteilungen die Mitwirkungspflichten beim Verfall von Urlaub meist schon seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2019 umgesetzt. Dies schon deshalb, um keine Rückstellungen im Jahresabschluss für die Abgeltung nicht verfallener Urlaubsansprüche bilden zu müssen.
Auch wenn die Urteile Klarheit in puncto Verjährung schaffen, verbergen sich im Urlaubsrecht weiterhin viele Tücken für Arbeitgeber. Zu beachten ist beispielsweise, dass die Rechtsprechung von EuGH und BAG sich auf den gesetzlichen Mindesturlaub laut Bundesurlaubsgesetz bezieht. Gewähren Arbeits- oder Tarifvertrag zusätzlichen Urlaub, lassen sich gesonderte Vereinbarungen zu Verfall und Verjährung treffen.

Drohen Massenklagen?

Bleibt die Frage: Können Beschäftigte gemäß den aktuellen Urteilen auch frühere Arbeitgeber auf Abgeltung nicht genommenen Resturlaubs verklagen? Drohen gar Massenklagen für jahrzehntealte, nicht erfüllte Urlaubsansprüche? Laut Pressemitteilung ist davon nicht auszugehen. Vielmehr lag der Entscheidung der Fall zugrunde, dass der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflicht im laufenden Arbeitsverhältnis nicht erfüllt. Auf den Urlaubsabgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Entscheidung des BAG hinsichtlich der Verjährung nicht unbedingt zu übertragen. Zudem unterliegt ein solcher auch gegebenenfalls bestehenden Ausschlussfristen.

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir an dieser Stelle über die Obliegenheiten zur Mitwirkung beim Urlaubsverfall berichtet samt eines Formulierungsvorschlags zum Download, um die Informationspflichten zu erfüllen. Wer sich bislang noch nicht mit dieser Frage beschäftigt hat, hat spätestens jetzt Handlungsbedarf für eine Bestandsaufnahme über alle Beschäftigungsgruppen. Das gilt insbesondere mit Blick auf Minijobber, die häufig nicht auf dem Radar sind. Die aktuellen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu Verjährung und Verfall nicht genommener freier Tage belegen zudem einmal mehr: Für Fragen des Urlaubsrechts ist nicht nur nationales Recht maßgeblich, sondern sie sind im Zusammenspiel mit den EU-Vorgaben zu bewerten.