Update Crowdworking: Europaparlament einigt sich auf Position zu Plattformarbeit-Richtlinie.

 Neuregelung für Plattformarbeiter verkennt Bedürfnisse von Gründern und Selbstständigen.

Update Crowdworking: Europaparlament einigt sich auf Position zu Plattformarbeit-Richtlinie.

Anfang Februar haben sich die Abgeordneten des Europaparlaments auf eine Verhandlungsposition für Gespräche über den Entwurf einer Richtlinie zur Plattformarbeit geeinigt. Die Neuregelung zielt darauf ab, die Rechte von Crowdworkern zu stärken, ihre Arbeitsbedingungen sowie Absicherung zu verbessern. Doch dabei droht die Gefahr, attraktive und innovative Formen der Arbeit abzuwürgen.

Arbeit per Mausklick

Beschäftigte in der Plattformökonomie erhalten Aufträge per Klick im Internet. Die sogenannten Crowd-, Cloud-, Click- oder Gig-Worker arbeiten beispielsweise als Rider für Lieferdienste wie Gorillas, Foodora oder Deliveroo, als Uber-Fahrer, laden als Juicer Elektroscooter auf oder sind als Reinigungskräfte beispielsweise für Helpling im Einsatz. Aber auch viele IT-Fachkräfte, Texter, Designer oder Übersetzer arbeiten für Plattformen, so das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Brüssel geht davon aus, dass bereits heute mehr als 28 Millionen in der EU für Internetplattformen tätig sind, die ihnen Aufträge per App vermitteln. Im Jahr 2025 sollen es bereits 43 Millionen sein.

Kein Kriterienkatalog für Beschäftigtenstatus

Von den 28 Millionen Plattformarbeitern in den Mitgliedsstaaten sind laut EU rund 26 Millionen als Selbstständige tätig. Doch die Kommission geht davon aus, dass ungefähr fünf Millionen nicht korrekt eingestuft sind – eine Zahl, die der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland allerdings bezweifelt. Wie bereits berichtet, zielt Margarethe Vestager, die Exekutiv-Vizepräsidentin der EU Kommission, mit dem Vorschlag für die Richtlinie darauf ab, der Scheinselbstständigkeit durch eine Beweislastumkehr Einhalt zu bieten. Eine falsche Klassifizierung als Selbstständiger könne einerseits prekäre Arbeitsbedingungen fördern und soziale Schutzrechte wie Lohnfortzahlung bei Krankheit, bezahlter Urlaub oder geregelte Arbeitszeiten aushöhlen. Andererseits geht es Brüssel auch darum, die solidarischen Sozialsysteme nicht zu gefährden sowie kleine und mittlere Unternehmen vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Anders als im ursprünglichen Entwurf der Kommission sieht der Parlamentsvorschlag in Artikel 4 Abs. 2 keinen Kriterienkataolg vor, anhand dessen eine Plattform als Arbeitgeber einzustufen ist. Demgegenüber wird grundsätzlich gesetzlich vermutet, dass zwischen digitaler Arbeitsplattform und Plattformarbeitenden rechtlich ein Arbeitsverhältnis besteht.

Kein Automatismus

Laut Parlamentsvorschlag darf dies aber nicht zu einer automatischen Neueinstufung aller Personen führen, die Plattformarbeit leisten. Digitale Arbeitsplattformen haben deshalb nach Artikel 4 Abs. 1 die Möglichkeit, die Vermutung eines Arbeitsverhältnisses zu widerlegen, bevor im Rahmen von Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren eine Entscheidung über die Neueinstufung getroffen wird.

Kriterien für Widerlegung des Arbeitnehmerstatus

Artikel 5 des Parlamentsvorschlags nennt zwei Kriterien, um die gesetzliche Vermutung für ein Beschäftigungsverhältnis zu widerlegen:

  1. Es handelt sich nicht um ein Arbeitsverhältnis im nationalen Sinn und die digitale Arbeitsplattform kontrolliert und steuert die für sie tätige Person in keiner Weise – weder im Rahmen des Vertrags noch faktisch über die Arbeitsleistung.
  2. Der Click Worker ist auch sonst in einem selbstständigen Gewerbe, Beruf oder Geschäftszweig tätig, welches oder welcher der Arbeit auf der Plattform entspricht.

Der Vorschlag des Parlaments nennt in den Änderungsanträgen 104 bis 111 acht Kriterien, die demgegenüber für eine Kontrolle und Weisung durch die Plattform sprechen. Dazu zählen: Die Bestimmung der Bezahlung, Kontrolle von Arbeitsbedingungen, Überwachung der beschäftigten Person während der Arbeit oder Vorgaben für das Verhalten oder äußere Erscheinungsbild.

Management durch Algorithmen

Die Richtlinie soll zudem regeln, wie digitale Arbeitsplattformen Algorithmen und Künstliche Intelligenz nutzen, um Beschäftigte zu überwachen und ihre Leistung zu messen. Dabei verfolgt die Kommission drei Ziele:

  • Mehr Transparenz: Arbeitende sollen mehr Rechte und Informationen bekommen und wissen, wie ihre Arbeit getrackt und analysiert wird.
  • Menschliche Überwachung: Jede für ein Arbeitsverhältnis wichtige Entscheidung darf nicht ausschließlich automatisiert erfolgen, sondern muss immer auch von einem Menschen überwacht werden.
  • Recht auf Überprüfung: Es soll gewährleistet sein, dass sowohl Arbeitnehmende als auch tatsächlich Selbstständige automatisierte Entscheidungen anfechten können.

Förderung von Tarifverhandlungen

Der Vorschlag des Parlaments sieht außerdem Regelungen vor, damit sich Plattformarbeiterinnen und Plattformarbeiter leichter gewerkschaftlich organisieren und Tarifverträge aushandeln können.

Zu praxisfern

Laut EU arbeiten rund 80 Prozent der Crowdworkerinnen und Crowdworker als Taxifahrende, Reinigungskräfte, im Handwerk oder für Lieferdienste. Zu 70 Prozent soll es sich um Jobs handeln, die ein niedriges Qualifikationsniveau erfordern. Demgegenüber ist nach der Studie der Bertelsmann Stiftung das Bild des prekären Clickworkers nicht differenziert genug: Plattformarbeiter in Deutschland seien im Schnitt jünger, besser gebildet und finanziell besser gestellt als der Durchschnitt der Bevölkerung. Mehr als ein Drittel der Gig Worker übernehme höherwertige Tätigkeiten: Dazu zählen beispielsweise Programmierer, Texter, Designer oder andere Kreative. 99 Prozent der Befragten üben die Plattformarbeit neben dem Hauptberuf aus, um sich etwas dazuzuverdienen. Die zeitliche Flexibilität nennen sie als einen der Topgründe für Plattformarbeit. Laut IT-Branchenverband Bitkom nutzen viele die Tätigkeit auf Plattformen zudem als Sprungbrett in die Selbstständigkeit.

Fehler nicht wiederholen

Deshalb sollte die EU nicht den Fehler der rot-grünen Koaltion Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wiederholen. Wie bereits berichtet, sagte diese der Scheinselbstständigkeit den Kampf an und setzte gegen große Widerstände ein Gesetz zu deren Bekämpfung durch, um aus ihrer Sicht prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu unterbinden. Auch im damaligen Regelwerk gab es eine gesetzliche Vermutung für ein Arbeitsverhältnis und einen Kriterienkatalog, der allerdings schon nach einem Jahr überarbeitet werden musste. Nach vier Jahren wurden die Regeln wieder abgeschafft.

Ausgang noch offen

Zwar ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn die Gig Economy in der EU einheitlich reguliert wird. Allerdings sollte klar definiert sein, wann ein Arbeitsverhältnis zwischen Plattform und Click Worker besteht. Dabei sollte der Fokus auf eindeutigen Fällen von Scheinselbstständigkeit liegen. Noch wird um die Richtlinie hart gerungen. Wenn der Ministerrat sich auf einen Vorschlag verständigt hat, kann es auch im Trilogverfahren zwischen Parlament, Kommisson und Ministerrat noch zu weiteren Änderungen des Entwurfs kommen. Nach Verabschiedung der Richtlinie bleiben den Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit um diese in nationales Recht umzusetzen. Die Ampelregierung sieht in digitalen Plattformen eine Bereicherung der Arbeitswelt. Laut Koalitionsvertrag will sie die EU Initiative zur Plattformarbeit „konstruktiv begleiten“. Es bleibt zu hoffen, dass dabei auch die Erfahrungen der rot-grünen Koalition mit der gesetzlichen Vermutung und einem Kriterienkatalog für eine Scheinselbstständigkeit einfließen. Wie wir bereits berichtet haben, könnte es stattdessen helfen, den Blick auf positive Beispiele für eine konstruktive Regulierung zu lenken, die sich beispielsweise in Estland finden.