Ob mit oder ohne Betriebsrat: Unternehmen müssen Arbeitszeiten systematisch erfassen.

 Bundesarbeitsgericht folgt Stechuhr-Urteil des EuGH.

Ob mit oder ohne Betriebsrat: Unternehmen müssen Arbeitszeiten systematisch erfassen.

Es begann mit einem Streit um Rechte des Betriebsrats bei der Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung. Und endet nun mit der Klarstellung, dass Unternehmen jeder Größe Arbeitszeiten systematisch erfassen müssen. Wir schildern die Konsequenzen des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 für Arbeitgeber, New Work und Homeoffice. (Az.: 1 ABR 22/21)

Die aktuelle Entscheidung des BAG stellt klar, dass Unternehmen jeder Größe schon jetzt verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Dies gilt, obwohl der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes und der Umsetzung des sogenannten Stechuhr-Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinterherhinkt. Die Luxemburger Richter entschieden schon im Mai 2019, dass Unternehmen die Arbeitszeit protokollieren und kontrollieren müssen. Doch wie dies konkret zu erfolgen hat, lässt die EuGH-Entscheidung offen.

Vorgaben für die Umsetzung der Zeiterfassung fehlen

Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz galt es bisher als ausreichend, Überstunden und Sonntagsarbeit zu dokumentieren, aber nicht die gesamte Arbeitszeit. Wie wir bereits berichtet haben, scheiterte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Februar mit einem Gesetzentwurf für „Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“, demzufolge elf Branchen wie Baugewerbe, Gebäudereiniger, Speditionen oder Hotellerie und Gastronomie sowohl Dauer als auch Ende der täglichen Arbeitszeit elektronisch und manipulationssicher erfassen sollten. Noch immer wird über die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes nur diskutiert. Laut Koalitionsvertrag wollen die Ampelkoaltionäre im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen, welcher Anpassungsbedarf angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht besteht. Flexible Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit müssten weiterhin möglich sein.

Aus der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts lässt sich ebenfalls nicht ersehen, welche Spielräume Arbeitgebern bei der Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung zustehen. Diesbezüglich ist die Begründung der Entscheidung abzuwarten.

Nichtsdestotrotz gilt nun einmal mehr unser Rat vom Frühjahr: Arbeitgeber sollten proaktiv handeln und nach einem individuell passenden, praxistauglichen und datenschutzkonformen technischen System für die Zeiterfassung suchen. Zwar genügt laut der EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich auch eine Dokumentation auf Papier. Klar ist aber, dass eine digitale Zeiterfassung effizienter und somit auch für Arbeitgeber vorteilhafter ist.

Rückkehr zur Stechuhr und Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Inwieweit New Work-Konzepte wie Vertrauensarbeit sowie mobile Arbeit im Homeoffice betroffen sind, hängt vor allem davon ab, wie praxistauglich die Anforderungen des neuen Arbeitszeitgesetzes gestaltet werden. Und wieviel Gestaltungsspielraum bekommen Arbeitgebende bei der Umsetzung? Die bislang häufige Praxis, die Zeiterfassungspflicht im Homeoffice auf die Beschäftigten zu delegieren, reicht jedenfalls nicht mehr aus.

Aufatmen bei Arbeitgebern: Kein Initiativrecht des Betriebsrats

Die gute Nachricht für Arbeitgeber: Anders als die Vorinstanz des Landesarbeitsgerichts Hamm und von manchem Unternehmen befürchtet, hat der Betriebsrat kein Initiativrecht bei der Einführung technischer Systeme zur Arbeitszeiterfassung. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG besteht nur, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Doch eine solche liege laut BAG mit § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz vor: Werde diese Vorschrift gemäß der EuGH-Rechtsprechung ausgelegt, so sei der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Beschäftigten zu erfassen.

Das BAG hat damit aber nicht entschieden, der Arbeitgeber könne selbst eine elektronische Arbeitszeiterfassung ohne Beteiligung des Betriebsrats insbesondere gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einführen. Denn in diesem Fall hat der Betriebsrat bei der Ausgestaltung mitzubestimmen.

Nach wie vor wissen Unternehmen nicht, wie die Zeiterfassungspflicht konkret umzusetzen ist, die ihnen laut EuGH und BAG obliegt. Der Gesetzgeber ist durch den aktuellen Beschluss dringend gefordert, Klarheit zu schaffen. Handlungsdruck besteht auch bei Unternehmen: Soweit noch nicht geschehen, müssen HR Manager*innen umgehend datenschutzkonforme technische Systeme einrichten, um die Arbeitszeit zu dokumentieren. Nachdem der Koalitionsvertrag explizit Modelle wie Vertrauensarbeit nicht gefährden will, dürfte der aktuelle Beschluss nicht das Ende von New Work einleiten.