Schweizer Vertragsrecht als Alternative?

 Warum das Obligationenrecht für deutsche Unternehmen attraktiv ist und was es zu beachten gilt.

Schweizer Vertragsrecht als Alternative?

Das Schweizer Obligationenrecht wird schon seit einiger Zeit gerne von deutschen Unternehmen im internationalen B2B-Geschäft gewählt. Neutral und flexibel – das wird schnell damit assoziiert. Aber stimmt das wirklich? Oder handelt es sich um eine Modeerscheinung? Was muss man bei der Wahl des Schweizer Obligationenrechts beachten? Und gibt es Alternativen?

Das Schweizer Obligationenrecht (OR) ist förmlich eine Ergänzung zum Schweizer Zivilgesetzbuch, letztlich aber schlicht ein Gesetz, in dem das Recht der Schuldverhältnisse geregelt ist. Hierzu gehört auch das Vertragsrecht. Deutsche Unternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten das Obligationenrecht für sich entdeckt und es ist förmlich zur Mode geworden, Schweizer Recht in Verträgen mit ausländischen Vertragspartnern zu vereinbaren. Aber nicht nur unter deutschen Unternehmen ist es sehr beliebt. In Schiedsverfahren unter den Regeln der International Chamber of Commerce (ICC) ist es nach dem Recht von England und Wales das zweithäufig gewählte nationale Recht.

Warum ist das Schweizer Obligationenrecht so beliebt?

In Verhandlungen mit ausländischen Vertragspartnern kann man sich häufig nicht auf das Recht des einen oder anderen Vertragspartner einigen. Beiden Seiten empfinden es als Niederlage, das Recht der ‚anderen‘ Seite zu akzeptieren. Sie begeben sich damit – gefühlt und tatsächlich – auf fremdes Terrain. Gesichtswahrend wählen dann beide Seiten ein neutrales Recht. Das ist häufig Schweizer Recht. Dieses ist zwar auch ‚fremdes‘ Recht, aber dafür für beide Parteien gleichermaßen. Dabei spielt sicherlich der neutrale Charakter der Schweiz als Land eine Rolle, auch wenn das noch keine Aussage darüber trifft, ob es für die eine oder andere Seite im konkreten Anwendungsfall tatsächlich vorteilhaft, nachteilhaft oder neutral ist.

Vor allem ist das Schweizer Obligationenrecht sehr flexibel. Deutsche Unternehmen kennen das strenge deutsche AGB-Recht, das auch im B2B-Bereich gilt. Bestimmte Klauseln sind dann unwirksam, wenn sie – nach Ansicht des befassten Gerichts – einseitig benachteiligen. Dazu gibt es umfangreiche Rechtsprechung, die sich aber ändern kann. So kann man nie sicher sein, ob der vereinbarte Vertrag auch wirksam ist. Das Schweizer Recht ist da gnädiger. Es bietet zudem die Möglichkeit, die Haftung für Erfüllungsgehilfen (bspw. Subunternehmer) gänzlich auszuschließen. Das funktioniert im deutschen Recht nicht.

Und kann man das Schweizer Recht wirklich frei wählen?

Das hängt erstmal davon ab, welches Gericht im Streitfalle befasst ist. Ob eine Rechtswahl wirksam ist, bestimmt das befasste Gericht grundsätzlich nach seinem eigenen IPR (Internationales Privatrecht, auch Kollisionsrecht). Das ist jenes Recht, das über das anwendbare Recht entscheidet. Dazu gehört das kraft Rechtswahl anwendbare Recht.

Häufig werden im Zusammenhang mit der Wahl zugunsten Schweizer Rechts auch Schiedsvereinbarungen getroffen. Das Schiedsgericht sitzt dabei dann meistens auch in der Schweiz, wobei der physische Sitz des Schiedsgerichts zweitrangig ist. Entscheidend ist vielmehr die anwendbare Schiedsordnung. Alle namhaften Schiedsordnungen erlauben eine freie Rechtswahl.

Aber auch wenn die Angelegenheit durch ein staatliches Gericht entschieden wird, ist eine freie Rechtswahl zugunsten Schweizer Rechts möglich. Das gilt sowohl vor deutschen Gerichten, wo das IPR vereinheitlicht in der sog. Rom I-Verordnung zu finden ist, als auch in der Schweiz, wo das Kollisionsrecht im Gesetz zum Internationalen Privatrecht (IPRG) zu finden ist.

Was muss man dann noch beachten?

Zunächst ist zu beachten, dass das Schweizer Recht ausländisches Recht ist. Es gibt zwar sehr großen Gestaltungsspielraum, doch auch im Schweizer Recht gibt es Auslegungsregeln. Bestimmte Fristen sind einzuhalten. Grenzen der Gestaltungsfreiheit müssen eingehalten werden. Kleinigkeiten wie bspw. andere Regeln über eSignatures können riesige Unterschiede bei der Wirksamkeit von Verträgen ausmachen.

Kurz gesagt, wer Schweizer Recht wählt, sollte es kennen. Dringend abzuraten ist von der unbedachten Wahl Schweizer Rechts ohne irgendeine inhaltliche Kenntnis. Wer Schweizer Recht wählt, braucht einen Schweizer Anwalt. Deutsche Anwälte ziehen seriöserweise auch einen Schweizer Kollegen hinzu, auch wenn das Obligationenrecht dem deutschen Recht sehr ähnlich ist.

Wer Schweizer Recht wählt, sollte die Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts oder eines Schiedsgerichts im Vertrag bestimmen. Das ist keine grundsätzliche Kritik an deutschen Gerichten. Wenn ein deutsches Gericht entscheidet, kann es grundsätzlich auch nach Schweizer Recht entscheiden. Dann braucht es aber ein Rechtsgutachten. Und das kostet Geld. Das lohnt sich normalerweise nicht.

Das erwirkte Urteil muss außerdem dort vollstreckbar sein, wo Vermögen der Gegenseite belegen ist. Schiedsurteile sind in sehr vielen Ländern vollstreckbar. Ihre Vollstreckung richtet sich nach einem internationalen Übereinkommen (der New York Convention on the Recognition and Enforcement of Arbitration Awards). Das gilt in beachtlichen 168 Ländern der Welt. Mehr Vollstreckungsmöglichkeiten bietet kein nationales Urteil. Ob die Vollstreckung praktisch gelingt, ist eine andere Frage. Schweizer Urteile sind in Deutschland nach dem Luganer Übereinkommen vollstreckbar. Die Vollstreckbarkeit in anderen Ländern muss im Einzelfall geprüft werden.

Gibt es Alternativen?

Ja, und zwar eine häufig unterschätzte Alternative. Die United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, kurz ‘CISG’ oder auch ‘UN-Kaufrecht’. Dabei handelt es sich um materielles Kaufrecht, das für internationale Sachverhalte von insgesamt 94 Staaten weltweit ratifiziert wurde. Es wird häufig unbedacht ausgeschlossen, dabei ist es noch neutraler als das Schweizer Vertragsrecht und genauso flexibel. Es eignet sich aber nur für Kauf- und Lieferverträge und regelt nicht das gesamte Vertragsverhältnis. Es ist daher auch keine Lösung für die unsichere AGB-Lage unter deutschem Recht. Andererseits ermöglicht es ein Gerichtsverfahren in Deutschland und ist wegen seiner Neutralität auch im Ausland grundsätzlich anerkannt (wobei unter Umständen etwas Aufklärungsarbeit geleistet werden muss).

Was ist das Fazit?

Das Schweizer Obligationenrecht ist nicht zu Unrecht beliebt. Sinnvollerweise sollte es aber nur zusammen mit einer Schiedsklausel oder einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten Schweizer Gerichte vereinbart werden. Mit Bedacht und Beratung kann das Schweizer Obligationenrecht auch eine gute Fluchtmöglichkeit vor dem strengen deutschen AGB-Recht bieten. Ohne inhaltliche Kenntnisse des Schweizer Rechts geht es aber nicht. Üblicherweise muss ein Anwalt in der Schweiz unterstützen. Das UN-Kaufrecht ist eine häufig nicht bekannte und vernachlässigte Alternative.

Johannes Brand ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für int. Wirtschaftsrecht und Handels- und Gesellschaftsrecht am Frankfurter Standort und berät in allen Fragen des internationalen Vertragsrechts und bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten.