Corona als Höhere Gewalt?

 Natürliches Rechtsempfinden contra juristische Realität.

Corona als Höhere Gewalt?, Insight von Dr. René-Alexander Hirth, Rechtsanwalt der Kanzlei Buse Heberer Fromm

Die Corona Pandemie erkennt jeder Mensch für sich unmittelbar als ein Ereignis „höherer Gewalt“. In den Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen ist dennoch Vorsicht geboten, insbesondere vor einer „freiwilligen“ Einstellung der Produktion oder Lieferung.

Der fortschreitende Stillstand im globalen Wirtschaftsverkehr aufgrund der Corona-Krise und namentlich der begleitenden behördlichen Maßnahmen wird Konsequenzen auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette und Leistungserbringung haben. Lieferstopps und die Unterbrechung von Just-In-Time Lieferketten sind unvermeidlich. Wie immer im Leben wird es auch hier die Zeit danach geben, sowie die Suche nach der Partei, auf welche eigene erlittene Einbußen möglichst noch verlagert werden können. Damit Ihr Unternehmen nicht zu denen gehört, die am Ende doppelt leiden, sollten einige grundsätzliche Punkte beachtet werden:

  • Die Fürsorge den eigenen MitarbeiterInnen gegenüber ist das Eine, die Verpflichtung dem Vertragspartner gegenüber das Andere. Begeben Sie sich nicht in die Situation, dass Ihnen später vorgehalten werden kann, Sie hätten nicht das Äußerste versucht, um Ihrer vertraglichen Leistungspflicht nachzukommen. Es ist nicht einmal garantiert, dass eine staatliche „Betriebsuntersagung“ Sie zivilrechtlich von jeder Haftung befreit, aber eine „vorauseilende Zwangsbeurlaubung“ Ihrer Belegschaft vergrößert ggf. nur Ihr Problem in der Zeit danach.
  • Nach deutschem Recht (und den anderen Rechtsordnungen des sog. „civil law“, d.h. namentlich der kontinentaleuropäischen Staaten, Brasiliens, Chinas, Indonesiens, Japans, Koreas, Russlands, Thailands u.a.) besteht eine strukturelle Möglichkeit jenseits ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarungen, die gegenseitigen Lieferverpflichtungen den derzeit herrschenden Verhältnissen anzupassen und dies von der anderen Partei auch zu verlangen. Dies mag unmittelbar unter dem Stichwort „höhere Gewalt“ oder auch als „Unmöglichkeit“ oder aus einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ erfolgen. Wichtig ist hier jedenfalls, erstens die vertraglichen Vereinbarungen genau zu prüfen, zweitens förmliche Mitteilungen über das eingetretene Leistungshindernis an die andere Partei abzugeben und sich drittens nach Kräften um die Minimierung der Verzögerungen zu bemühen.
  • Nach englischem Recht, dem Recht der amerikanischen Bundestaaten (und allen anderen Rechtsordnungen des sog. „common law“, d.h. namentlich Australiens, Indiens, Malaysias, Neuseelands, Singapurs u.a.) gilt generell und weitestgehend ausschließlich das, was im Vertrag selbst vereinbart wurde. Daher finden sich in solchen Verträgen im Grunde ausnahmslos sog. „Force Majeure“ Klauseln, auf deren präzisen Wortlaut es ankommt. Im Kontext dieser Klauseln wird weiterhin regelmäßig genau bestimmt, was eine Partei zu tun hat, wenn sie sich auf ein entsprechendes Ereignis der – definierten – höheren Gewalt berufen will. Diese Formalien sind strengstens einzuhalten, will man keinen Rechtsverlust erleiden.
  • Im Anwendungsbereich des sog. Einheitlichen UN-Kaufrechts (CISG) besteht eine ausdrückliche Regelung zur höheren Gewalt (Art. 79 CISG). Viele Länder auch des „common law“ Rechtskreises haben das CISG in ihr nationales Recht übernommen. Bei grenzüberschreitenden Verträgen, die einem solchen Recht unterliegen, ist daher zu prüfen, ob das CISG gilt oder wirksam ausgeschlossen wurde, damit ggf. auch diese Regelung nutzbar gemacht werden kann.

In jedem Fall gilt, dass die vertragliche Haftungssituation unbedingt jeweils – wenigstens überschlägig – geprüft werden sollte, bevor ein Unternehmen Maßnahmen ergreift, welche die eigene Lieferfähigkeit den Vertragspartnern gegenüber beeinträchtigen könnten. Eine zweite Stufe der Prüfung sollte vor der Kommunikation der eigenen Lieferschwierigkeiten an den anderen Vertragspartner durchlaufen werden. Jeder Eindruck der „Freiwilligkeit“ oder „Vorsorglichkeit“ von eigenen Maßnahmen mit negativen Konsequenzen für die eigene Vertragserfüllung sollte dabei möglichst vermieden werden. Diese Kommunikation darf jedoch ihrerseits keinesfalls unterbleiben oder unangemessen verzögert werden, um die eigene Rechtposition möglichst umfassend zu wahren.

Für Fragen steht Ihnen unser Partner / Rechtsanwalt Dr. René-Alexander Hirth (Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsmediator (cvm), FSIArb) zur Verfügung.