Dürfen Restaurants und Clubs doch hoffen?

 Urteil des BGH zur Versicherung gegen Betriebsschließung wegen Corona lässt wichtige Fragen offen.

Urteil des BGH zur Versicherung gegen Betriebsschließung wegen Corona lässt wichtige Fragen offen

Die Betriebsschließungsversicherung greift nicht, wenn ein Gastronom wegen Corona-Lockdowns schließen muss, so der BGH am 26. Januar. Doch die nun vorliegende Urteilsbegründung offenbart Haftungsrisiken für manch großen Versicherer.

Eine große Gruppe von Versicherten bleibt mit ihren Ansprüchen weiterhin im Rennen. Das offenbart die Analyse der vollständigen Begründung des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) in Sachen Betriebsschließungsversicherung (Az. IV ZR 144/21). Zwar entscheidet es tatsächlich viele der noch anhängigen Gerichtsverfahren über die Ansprüche gastronomischer Betriebe aus Betriebsschließungsversicherungen (BSV) in der Zeit des ersten behördlichen Corona-Lockdowns ab März 2020. Doch zugleich enthält es bereits deutliche Anhaltspunkte dafür, dass manche Versicherung aus ihren Betriebsschließungsversicherungen (BSV) haftet.

Der BGH hatte sich im konkreten Fall mit Versicherungsbedingungen zu befassen, die sich in großen Teilen auf den Katalog von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern in §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) bezogen. In das eigene Leistungsversprechen war eine Formulierung eingearbeitet, aus der wörtlich zu entnehmen war, dass es sich hierbei um den versicherten Katalog „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ für die BSV handelte. Nach dieser Formulierung durften die Versicherungsnehmer nicht mehr annehmen, die Versicherung decke über diese Liste ausdrücklich aufgeführter Krankheiten und Krankheitserreger hinaus die gesamten, nach §§ 6 und 7 IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ab, so der BGH. Noch weniger dürfe ein Versicherungsnehmer bei einer solchen Formulierung annehmen, dass die Versicherung womöglich „dynamisch“ in dem Sinne sei, dass der erst jüngst in diese Liste aufgenommene Erreger Covid-19 mitversichert sei.

Eine Vielzahl jüngst noch umstrittener Versicherungsbedingungen enthält ähnliche Formulierungen: „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser [Zusatz-]Bedingungen sind [nur] die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger (…)“. Für alle entsprechenden Formulierungen einschließlich der in eckigen Klammern stehenden Worte ist nach dem aktuellen Urteil entschieden: Es besteht keine Einstandspflicht der Versicherer.

Nicht nur intrinsische Betriebsrisiken versichert

Eingangs des Urteils stellt der BGH zunächst klar, dass unter den bislang gängigen Betriebsschließungsversicherungen nicht nur „intrinsische Betriebsrisiken“ versichert gewesen sind. Der Grund für den Versicherungsfall musste daher nicht aus dem Betrieb selbst stammen, wie es z.B. beim Auftreten von Salmonellen in der Küche der Fall ist. Der Grund konnte auch im externen Auftreten der Corona-Pandemie und den daraus folgenden behördlichen Schließungen liegen. Dieser Verteidigungslinie der Versicherungen erteilte der BGH eine klare Absage. In die heute verwendeten BSV-Bedingungen haben die Versicherer ausdrücklich aufgenommen, dass die Versicherung nur aus dem Betrieb selbst stammende Risiken abdeckt.

Demgegenüber bestätigt der BGH den Verwendern der oben genannten Formulierung eine ausreichend deutliche Beschreibung des Leistungsversprechens in den Versicherungsbedingungen: Diese seien im Kontext des gesamten Bereiches allfällig drohender Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz weder unklar noch irreführend. Auch würden die Versicherungsnehmer nicht unangemessen benachteiligt, nur weil diese ggf. einen Versicherungsschutz erwarteten, der alle Risiken aus dem IfSG umfasst. Die Versicherer hätten ein für den verständigen Versicherungsnehmer erkennbares Interesse, die Risiken unter den angebotenen Versicherungen kalkulieren zu können. Dem stehe eine Erstreckung dieser Versicherungen auf bei Vertragsschluss noch gar nicht bekannte Krankheiten entgegen.

Entscheidend ist Verweis auf Krankheiten in den Zusatzbedingungen

Aufhorchen lässt die Urteilsbegründung jedoch dadurch, dass der BGH ausdrücklich „entscheidend“ auf die Verwendung der Formulierung „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“ abhebt. Das Urteil stellt mehrfach auf die sprachliche Klarheit der Verbindung dieser Formulierung mit den dann folgenden Katalogen der versicherten „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“ ab. Aufgrund dieser Klarstellung könne der Versicherungsnehmer bereits im Grundsatz nicht den Eindruck gewinnen, die Versicherung sei deckungsgleich mit den Katalogen aus §§ 6 und 7 IfSG oder folge diesen Katalogen gar dynamisch auch bei Gesetzesänderungen. Infolge dieser sprachlichen Klarheit kann für den BGH denklogisch auch keine Irreführung des Versicherungsnehmers bestehen. Was klar formuliert ist, mag für den Versicherten unzureichend oder unattraktiv sein. Er muss jedoch verstehen, was er unterschreibt. Gleichzeitig schließt diese sprachliche Klarheit eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers aus. Dem Versicherer steht es bei einer Spezialversicherung wie der BSV frei zu formulieren, welche Risiken er bereit ist zu versichern. Die Entscheidung, diese Formulierung zu akzeptieren oder eine bessere Versicherung zu suchen, liegt in der Hand des Versicherungsnehmers.

Hoffnungsschimmer für Gastronomen

Allerdings lässt diese nachvollziehbare Begründung des BGH das Schicksal aller Ansprüche aus Versicherungsverträgen offen, in denen die klarstellende Formulierung „im Sinne dieser [Zusatz-]Bedingungen“ fehlt. Tatsächlich verwendeten sehr große Versicherungsunternehmen Policen, in denen nach dem einleitenden Versicherungsversprechen in einem textlich getrennten Absatz geschrieben steht: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger (…)“.

Aus dieser Tatsache folgt erstens die Frage: Zählt der BGH die verwendete Formulierung in seiner Entscheidung über diese Versicherungsbedingungen überhaupt noch zur originären Ausgestaltung des Leistungsversprechen? Oder behandelt er sie bereits als anschließende Eingrenzung des bereits gegebenen Grundsatzversprechens und damit rechtstechnisch als Haftungsausschluss?

Selbst wenn der BGH noch nicht die strengeren Maßstäbe eines Haftungsausschlusses anlegen sollte, ist zweitens möglich: Die Karlsruher Richter vermissen hier dennoch die notwendige sprachliche Klarheit. Nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB würde dann die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegung zum Vertragsinhalt. Die Kataloge von Krankheiten und Krankheitserregern in den BSV wären dann als lediglich beispielhafte Aufzählung zu werten.

Drittens könnte der BGH diese nicht hinreichend klare Formulierung als intransparent, d.h. als irreführend für den Versicherungsnehmer bewerten. Laut dem Karlsruher Gericht kann der Versicherte ausdrücklich nicht annehmen, dass die Kataloge in §§ 6 und 7 IfSG mit den Katalogen der Versicherungsbedingungen übereinstimmen. Denn dagegen spreche die verwendete Formulierung „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“. Fehlt diese Formulierung, dann dürfte der Versicherungsnehmer diese Annahme hegen. Insoweit wäre die Katalogformulierung in den Versicherungsbedingungen intransparent und isoliert unwirksam. Das allgemeine Leistungsversprechen aus dem Versicherungsvertrag bliebe dann ohne die Einschränkung der aufgelisteten Kataloge bestehen (§§ 306 Abs. 1, 307 Abs. 1 BGB).

Problematik für aktuelles Urteil ohne Bedeutung

Für das aktuelle Urteil des BGH war die Problematik ohne Bedeutung, dass Covid-19 überhaupt erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Kataloge der §§ 6 und 7 IfSG aufgenommen wurde. Die Klagen der Versicherungsnehmer können nun unter folgenden Voraussetzungen zum Erfolg führen: Die Karlsruher Richter kommen in den noch verbliebenen Fällen zu dem Ergebnis, dass der Versicherungsschutz sich nicht nur auf die ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen aufgeführten Kataloge erstreckt, sondern auf alle bei Vertragsschluss in den §§ 6 und 7 IfSG aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger bezieht. Darüber hinaus muss der BGH entweder annehmen, dass auch die in den §§ 6 und 7 IfSG enthaltenen Öffnungsklauseln für sonstige meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind. Oder er schließt insgesamt auf eine generelle Dynamik des Versicherungsschutzes parallel zum jeweiligen Stand des IfSG.

Für manche der großen Versicherungsunternehmen verbleibt daher auch nach diesem aktuellen Urteil ein erhebliches Haftungsrisiko. Für viele Versicherungsnehmer besteht spiegelbildlich weiter die Hoffnung auf eine Einstandspflicht der Versicherung. Bei Erstellung dieser Notiz ist noch nicht bekannt, wann der BGH über die nächsten Betriebsschließungsversicherungen verhandelt.

Für Fragen steht Ihnen unser Partner / Rechtsanwalt Dr. René-Alexander Hirth (Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsmediator (cvm), FSIArb) zur Verfügung.