Das Vereinigte Königreich (UK) ist zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Die EU und UK haben am 17.10.2019 bereits ein Austrittsabkommen geschlossen, das einige wichtige Punkte regelt (bspw. den Status von in der EU lebenden Briten und umgekehrt und die irische Grenze). Eine ganz wesentliche Regelung des Abkommens besteht in der Fortgeltung von EU-Recht in UK zwischen dem 01.02.2020 (Austritt) und dem 31.12.2020. Diese Übergangsphase soll dazu dienen, ein endgültiges Abkommen zu verhandeln, das dann alle wichtigen offenen Punkte regelt. Dazu gehört auch die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen. Das Problem dabei: es sieht im Moment nicht danach aus, als würden sich EU und UK auf ein solches Abkommen einigen.
Dieser Insight behandelt daher als zweiter von drei Teilen die Auswirkung eines möglichen „harten Brexits“, also eines Brexit ohne (endgültiges) Austrittsabkommen auf die Vollstreckung von Urteilen.
1. Status Quo
Aber wie ist die Vollstreckung in der EU (und übergangsweise im Verhältnis zu UK) eigentlich derzeit geregelt? Die kurze Antwort: relativ komfortabel. Die EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, auch: Brüssel-Ia-Verordnung, amtlich: Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates vom 12.12.2012) regelt die Vollstreckung innerhalb der EU (und übergangsweise auch im Verhältnis zu UK). Das ist dieselbe Verordnung, die auch die Zuständigkeit in Zivilprozessen regelt (s. hierzu Brexit Reloaded: Auswirkungen auf Gerichtsverfahren).
Komfortabel ist die Vollstreckung deshalb (noch), weil die Verordnung in allen Mitgliedsstaaten der EU gilt. Das Verfahren ist also immer dasselbe. Das sorgt für Rechtssicherheit. Das Verfahren zur Vollstreckung ist aber nicht nur einheitlich, sondern auch einfach. Denn zur Vollstreckung braucht der Begünstigte eines Urteils (oder sonstigen gerichtlichen Titels) ein vom Ausgangsgericht auszufüllendes Formblatt und ggf. eine Übersetzung, sonst nichts. Das über Jahre hinweg bekannte und praktizierte Exequaturverfahren zur Vollstreckbarerklärung wurde durch die letzte Fassung der EuGVVO (Brüssel-Ia-Verordnung als Nachfolgerin der Brüssel-I-Verordnung) im Jahre 2012 abgeschafft. Ein riesiger Schritt auf dem Weg zur Harmonisierung der Zivilprozesse innerhalb der EU.
2. Und was passiert nun?
You’ll miss it when it‘s gone.
Man erkennt häufig erst, was man hatte, wenn es weg ist. Denn einfacher wird es ohne die EuGVVO jedenfalls nicht. Die Vollstreckung wird schwieriger werden, aber ein paar Szenarien sind zu unterscheiden:
- Bereits bestehende Urteile bleiben weiterhin nach der EuGVVO vollstreckbar. Hier ändert sich nichts.
- Die Zwangsvollstreckung aus Urteilen in Verfahren, die vor dem 31.12.2020 begonnen wurden, richtet sich weiter nach der EuGVVO (Art. 67 Abs. 2 des Austrittsabkommens). Es kommt als auf das Datum der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens an, nicht auf das Datum des Urteils. Auch solche Urteile werden weiter ohne besonderes Verfahren vollstreckbar bleiben.
- Nur der Status von Urteilen und sonstigen Titeln für Verfahren, die erst nach dem 31.12.2020 eingeleitet werden, ist unklar. Die EuGVVO gilt dann jedenfalls nicht mehr – in UK schon alleine, weil die Verordnung EU-Recht ist, in der EU gilt die Verordnung zwar weiter, aber nicht mehr für die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen aus Drittstaaten.
Teilweise wird von Rechtswissenschaftlern vertreten, dass das EuGVÜ wiederauflebt, ein Vorgänger der EuGVVO. Auch das würde zu einer Zwangsvollstreckung ohne weitere Schwierigkeiten führen. Wie es dazu kommen kann und welche Argumente dafür und dagegen sprechen, ist von eher akademischer Natur. Aus Sicht der Praktiker ist alleine entscheidend, dass zwar die Möglichkeit besteht, aber bis jetzt noch völlig unklar ist, ob Gerichte diesseits oder jenseits des Ärmelkanals eine solche Möglichkeit annehmen werden. In dieser unklaren Situation wäre es für den Rechtsanwender also falsch, auf dieses Pferd zu setzen.
Wahrscheinlicher ist, dass sich die Zwangsvollstreckung von Urteilen zwischen EU und UK nach rein nationalen Regeln richtet. Dann aber muss der Kläger sowohl in Deutschland (Anerkennungsklage nach § 328 ZPO) als auch in UK (sog. summary judgement) eine Klage zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung zu erheben. Das kostet – und zwar Zeit und Geld.
3. Was ist zu tun?
Unternehmer sollten sich zunächst bewusst sein, dass die Vollstreckung von Urteilen zwischen EU und UK schwieriger wird. Wer bereits ein Urteil in Händen hält, darf etwas entspannter sein – jedenfalls solange das bestehende Austrittsabkommen aus dem Jahre 2019 nicht bewusst gebrochen wird. Wer Ansprüche erst noch gerichtlich geltend machen muss, kann sich das Leben durch folgende Überlegungen einfacher machen:
- Wenn ein Verfahren ansteht, könnte sich anbieten, dieses noch vor Jahresende einzuleiten. Denn wie schon bei den Zuständigkeitsregelungen profitiert der Kläger von dem Vertrauensschutz des Austrittsabkommens vom 17.10.2019. Ein Urteil ist dann ohne weitere Vollstreckbarkeitserklärung in UK oder der EU vollstreckbar, selbst wenn es erst in einigen Jahren ergeht.
- Und auch bei der Vollstreckung könnte eine Schiedsklausel die sicherere Alternative zur Gerichtsstandsvereinbarung sein. Denn sowohl Deutschland als auch UK sind Mitglied des New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Die Vollstreckung aus Schiedssprüchen ist also auch nach einem harten Brexit sicher.
Man vermisst nur das, was man nicht mehr hat. So ist es auch beim Brexit. Das Vereinigte Königreich wird in der EU fehlen und die EU wird dem Vereinigten Königreich fehlen. Der gemeinsame Rahmen, den das Zivilprozessrecht der EU für EU und UK bedeutet hat, wird ebenso fehlen und Rechtsunsicherheit wird folgen. Aber mit ein paar einfachen Schritten und achtsamer Planung sind viele Folgen des Brexit für Unternehmen, die mit UK Handel treiben, abzufedern.
Bei Fragen zum Brexit hilft Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Johannes Brand.