Einsetzung des Wahlvorstands als pandemiebedingter Notbehelf nicht möglich.

 ArbG Darmstadt weist Antrag auf Bestellung eines Wahlvorstands ab.

Einsetzung des Wahlvorstands als pandemiebedingter Notbehelf nicht möglich.

Auch in Zeiten der Corona-Pandemie kann auf die Einladung zur Betriebsversammlung bei Bestellung eines Wahlvorstands nicht verzichtet werden. Das hat das ArbG Darmstadt entschieden (Az.: 4 BV 7/21I).

Soll in einem Betrieb ein Betriebsrat gegründet werden, muss zuvor ein Wahlvorstand bestellt werden. Er wird in einer Betriebsversammlung von den Arbeitnehmern gewählt, sofern es keinen Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat gibt. Findet trotz Einladung keine Betriebsversammlung statt oder wählt die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand, kann eine Einsetzung durch das Arbeitsgericht erfolgen.

Die Corona-Pandemie erschwerte die Durchführung von Betriebsversammlungen erheblich und führte sogar zum Teil zu einer Unmöglichkeit der Versammlungen. Als alternative Option wurde demnach teilweise die Bestellung des Wahlvorstands durch das zuständige Arbeitsgericht ohne vorherige Einladung zu einer Betriebsversammlung erwogen. Die Hürden dazu liegen allerdings hoch. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Darmstadt jetzt klargestellt und einen Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands mit Beschluss vom 15.06.2021 abgelehnt (Az.: 4 BV 7/21).

Keine Betriebsversammlung wegen Corona

Die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands hatten Beschäftigte eines Betriebes beim ArbG Darmstadt beantragt.

Die Beschäftigten arbeiten in einem Unternehmen, das zwar die Voraussetzungen für einen Betriebsrat erfüllt, aber noch keine solche Mitarbeitervertretung installiert hat. Das wollten die drei Antragsteller ändern, die sich auch bereit erklärt hatten, das Amt des Wahlvorstands auszuüben. Daher hätte nach § 17 Abs. 2 BetrVG in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer ein Wahlvorstand gewählt werden müssen. Zu einer solchen Betriebsversammlung luden die Antragsteller jedoch nicht ein, sondern beantragten direkt die Bestellung des Wahlvorstands durch das ArbG gemäß § 17 Abs. 4 BetrVG.

Als Begründung argumentierten sie, dass aufgrund der Corona-Pandemie und der einzuhaltenden Schutzmaßnahmen eine Betriebsversammlung weder im Betrieb noch in anderen Räumlichkeiten durchgeführt werden könne.

Entscheidung des ArbG Lingen

Das ArbG Lingen hatte zuvor in einem vergleichbaren Fall mit Beschluss vom 19.03.2021 bereits eine solche Einsetzung vorgenommen (Az.: 1 BV 1/21).

Hier hatte das Gericht festgestellt, dass die Einladung zur Betriebsversammlung aufgrund der besonderen Situation durch die Corona-Pandemie aus Gründen des Infektionsschutzes ausnahmsweise entbehrlich war. Das Gericht bestellte in diesem Fall den Wahlvorstand.

Das Gericht stellte zwar fest, dass die Einladung zur Betriebsversammlung im Grundsatz unverzichtbar sei und das gesetzliche Merkmal der Einsetzung „trotz Einladung“ dem Schutz der Interessen der Gesamtbelegschaft diene. Es kam aber zu dem Schluss, dass hier ein Sonderfall vorliege. Es sei aus Gründen der hohen Infektionszahlen und des Infektionsschutzes nicht zumutbar gewesen, eine Betriebsversammlung verantwortungsvoll durchzuführen, führte das Gericht aus.

ArbG Darmstadt weist Antrag auf Bestellung eines Wahlvorstands zurück

Das ArbG Darmstadt wies den Antrag in der aktuellen Entscheidung jedoch zurück.
Auch das ArbG Darmstadt führte dabei zur Begründung zunächst aus, dass eine Einladung zu einer Betriebsversammlung fehle und grundsätzlich auch nicht verzichtbar sei. Dabei verwies es auf eine Entscheidung des BAG vom 26. Februar 1992 (Az.: 7 ABR 37/91).
Anders als das ArbG Lingen sah das ArbG Darmstadt in der aktuellen Pandemiesituation jedoch keinen Sonderfall, in dem ausnahmsweise auf die Voraussetzung der vorherigen Einladung verzichtet werden könne.

Dabei schloss sich das ArbG zwar der Ansicht des ArbG Lingen an, im März 2021 sei es nicht zumutbar und verantwortungsvoll gewesen, eine Betriebsversammlung mit 190 Personen in einem Raum durchzuführen.

Zurecht argumentierte das ArbG jedoch, die derzeitige Lage sei nicht mit der Lage in dem vor ArbG Lingen entschiedenen Fall vergleichbar. Im März 2021 hätten seit mehreren Monaten erhebliche Kontaktbeschränkungen gegolten und die Inzidenz habe deutschlandweit in vielen Landkreisen bei weit über 100 gelegen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung liege die Inzidenz in Darmstadt jedoch bei unter 13, deutschlandweit in den meisten Landkreisen bei unter 50, auf ganz Deutschland bezogen bei ca. 16. Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Infektionszahlen seien Treffen nicht mehr verantwortungslos. Aus diesem Grund seien auch wieder Veranstaltungen mit bis zu 100 ungeimpften Personen in geschlossenen Räumen, tagesaktuellen Tests und entsprechenden Hygienekonzept zugelassen.

Die Antragsteller könnten zudem auch vorab anfragen, ob Arbeitnehmer bereit sind, zu erklären, ob sie bereits vollständig geimpft oder genesen sind. Wenn dies auf eine größere Zahl an Mitarbeitern zuträfe, könnten auch Veranstaltungen mit weit mehr als 100 Personen stattfinden.

Die Lage könne sich zwar zugegebenermaßen jederzeit wieder ändern. Das Gericht ging aber zumindest für die Sommermonate aufgrund des warmen Wetters, der fortschreitenden Impfung der Bevölkerung und der Einreisebeschränkungen aus Hochrisikogebieten und Gebieten mit Mutationen des Virus nicht davon aus, dass eine Betriebsversammlung nicht stattfinden könne.

Die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands ist nur ein Notbehelf. Zuvor muss den Arbeitnehmern zumindest die Chance gegeben worden sein, einen Wahlvorstand zu wählen.

Dem steht auch die Corona-Pandemie nicht – mehr – entgegen.