Was sind mehrgliedrige Restrukturierungsvereinbarungen?
Mehrgliedrige Restrukturierungsvereinbarungen sind Kollektivvereinbarungen, die von Gewerkschaften und Betriebsräten auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite abgeschlossen werden. Solche Vereinbarungen nutzt man in der Restrukturierungspraxis gerne, um ein Verhandlungsergebnis, zum Beispiel einen Sanierungstarifvertrag, abzusichern. Wenn möglichst viele, am besten sogar alle, Parteien (Unternehmen, Betriebsrat, Gewerkschaft) an der Vereinbarung beteiligt sind, gibt es eine höhere Akzeptanz für das Verhandlungsergebnis. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jetzt die formellen Anforderungen an diese Vereinbarungen verschärft:
Restrukturierungsvereinbarungen als Standortsicherung?
Die Personalpraxis nennt Restrukturierungsvereinbarungen gerne auch „Standortsicherungsvereinbarung“ oder „Beschäftigungssicherungsvertrag“. Für sie ergibt sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz eine betriebsverfassungsrechtliche Schwierigkeit (Tarifsperre): Nach dieser Norm dürfen zum Beispiel Arbeitsbedingungen, die schon oder potentiell durch den Tarifvertrag geregelt sind, nicht Inhalt einer Betriebsvereinbarung werden. Das Problem wird in der Praxis häufig durch eine Auslegung gelöst: Wenn die Vereinbarung als Tarifvertrag abgeschlossen ist, gilt die Tarifsperre nicht. Im Zweifel also für den Tarifvertrag.
Zurückhaltende Prüfung durch das BAG
Schon seit einigen Jahren ging das BAG aber mehr und mehr zurückhaltend an die Prüfung der mehrgliedrigen Restrukturierungsvereinbarungen heran. Auch hier sind der freien Gestaltungsmacht der Parteien Grenzen gesetzt. Nach der Rechtsprechung sind für die rechtliche Wirksamkeit und damit für die Bestandskraft einer mehrgliedrigen Vereinbarung die Normqualität und die Urheberschaft entscheidend. Daraus leitet die Rechtsprechung das Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ab. Und das soll besonders für diese Kollektivverträge gelten. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit können bei einer mehrgliedrigen Restrukturierungsvereinbarung gefährdet sein. Dann nämlich, wenn aus dem Text der Vereinbarung nicht klar erkennbar ist, welche Partei für welche Regelung verantwortlich zeichnet. Finden sich in der Restrukturierungsvereinbarung zum Beispiel Regelungen zum Verzicht auf tarifliche Entgeltbestandteile (beispielsweise Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld), kann ein an der Vereinbarung beteiligter Betriebsrat das nicht rechtwirksam abschließen. Rechtswirksam abschließen kann nur die zuständige Gewerkschaft. Und genau diese Zuständigkeitsverteilung muss sich aus dem Text der Vereinbarung klar und unmissverständlich ergeben. Wenn es hier Unklarheiten gibt, ist die Restrukturierungsvereinbarung unwirksam. In der Praxis hat das oft katastrophale Konsequenzen: In einem vom BAG in der Vergangenheit entschiedenen Fall war der in der Vereinbarung geregelte Verzicht auf Guthaben in Arbeitszeitkonten wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rechtsquellenklarheit nicht umsetzbar. Damit wurde das gesamte Ziel der Restrukturierung gefährdet.
Ausdehnung strenger Rechtsprechung
Das BAG hat diese strenge Rechtsprechung jetzt auch auf Vereinbarungen ausgedehnt, an denen keine Gewerkschaft, sondern „nur“ unterschiedliche Betriebsräte beteiligt sind. Im entschiedenen Fall waren das Konzern- und Gesamtbetriebsräte. Auch hier gilt: Die Zuständigkeitsverteilung muss sich aus dem Text der Vereinbarung klar und unmissverständlich ergeben. Wenn nicht, droht die Unwirksamkeit wegen Unklarheit.
Im aktuellen Fall führte ein Konzern einen Stellenabbau und die Verlagerung von Arbeitsplätzen durch. Ohne Beteiligung einer Gewerkschaft wurden von Konzern-, Gesamt- und Einzelbetriebsräten mehrere, teilweise aufeinander Bezug nehmende und ineinander verschränkte Interessenausgleiche und Sozialpläne sowie andere Vereinbarungen abgeschlossen. Eine davon wurde als „Eckpunktepapier“ bezeichnet. So entstand, was das BAG in einem anderen Zusammenhang und sehr plastisch als unübersichtliches Gemenge bezeichnet hat. Der Konzernbetriebsrat schloss die Vereinbarungen „soweit zuständig“. Offensichtlich war die Konzernleitung vom Bestreben getrieben, vorrangig mit den beteiligen Gesamtbetriebsräten zu verhandeln und abzuschließen.
Empfehlungen für die Praxis:
Die Beratungspraxis muss diese Vorgaben sofort beherzigen und sich vom manchmal leichter scheinenden Weg einer One-Fits-All-Vereinbarung („… Konzernbetriebsrat soweit zuständig …“) verabschieden. Die Beteiligung von Gewerkschaften und Betriebsräten oder auch verschiedenen Ebenen von Betriebsräten in Restrukturierungsvereinbarungen bleibt zulässig. Es braucht aber eine strikte Trennung nach Zuständigkeit und Regelungskompetenz mit Blick auf die geplanten Regelungsgegenstände. Dann wird eine mehrgliedrige Kollektivvereinbarung zum Instrument einer erfolgreichen Betriebsänderung.