Bei den Plänen der Ampelregierung dürfte auch der Einfluss der Gewerkschaften eine große Rolle gespielt haben. Den Gewerkschaften ist die SE als europäische Rechtsform, die vom Anwendungsbereich des deutschen Mitbestimmungsregimes grundsätzlich ausgeschlossen ist, ein Dorn im Auge.
Mit Urteil vom 16. Mai 2024 hat sich nun der EuGH ausführlich und eindeutig zur Nachholung des bei Gründung einer SE notwendigen Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens geäußert. Damit scheint den Bestrebungen der Koalitionsparteien ein Ende gesetzt.
Der Fall
Dem Urteil liegt ein Fall zugrunde, in dem im Jahr 2013 nach britischem Recht eine arbeitnehmerlose Holding SE durch eine deutsche GmbH und eine britische Limited gegründet und im Register von England und Wales eingetragen wurde. Da die Gründungsgesellschaften arbeitnehmerlos waren, wurde kein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchgeführt. Einen Tag nach Gründung der Holding SE wurde sie Gesellschafterin einer deutschen GmbH. Diese unterfiel aufgrund ihrer Arbeitnehmerzahl dem Drittelbeteiligungsgesetz, war aber nach Umwandlung in eine KG ebenfalls mitbestimmungsfrei.
Im Jahr 2017 wurde der Sitz der Holding SE nach Deutschland verlegt. Der Konzernbetriebsrat vertrat die Ansicht, dass ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren einzuleiten und nachzuholen sei, da die Arbeitnehmer der KG in dem zu diesem Zeitpunkt bestehenden Unternehmenskonstrukt der Holding SE zuzurechnen seien.
Nach Abweisung des Antrags durch das Arbeitsgericht Hamburg und das Landesarbeitsgericht Hamburg wurde das Bundesarbeitsgericht angerufen, das die Angelegenheit dem EuGH vorlegte.
Wie hat der EuGH entschieden?
Der EuGH hat der Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens eine klare Absage erteilt.
Er stützt sich dabei vor allem auf Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-VO) und Artikel 3-7 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (SE-RL).
Die darin enthaltenen Bestimmungen sind sämtlich auf eine Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens vor Eintragung bzw. Gründung zugeschnitten. Eine Anwendung der Vorschriften auf bereits gegründete SE´s ergäbe sich daraus aber grundsätzlich nicht.
Bei der Begründung des Urteils stützt sich der EuGH auf den Wortlaut der betreffenden Bestimmungen als auch auf die Entstehungsgeschichte der SE-VO. Außerdem hat der EuGH hervorgehoben, dass der Unionsgesetzgeber seinerzeit bewusst auf entsprechende Regelungen zu einem nachträglichen Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren verzichtet hat.
Im Interesse der Vorhersehbarkeit für Anteilseigner und Arbeitnehmer sowie der Stabilität der bestehenden SE wurde eindeutig die Durchführung der Verhandlungen zur Arbeitnehmerbeteiligung vor Eintragung der Gesellschaft präferiert. Ergänzend habe der Rat der Europäischen Union einen Vorschlag vom Europäischen Parlament abgelehnt, der Neuverhandlungen im Fall von erheblichen Umstrukturierungen nach Gründung vorgesehen hätte.
Gleichzeitig hat der EuGH aber auch betont, dass missbräuchliche Gestaltungen auch in Zukunft eine Neuverhandlung mit der Arbeitnehmerseite begründen können. Konkrete Kriterien hierfür bleiben aber weiterhin unklar bzw. weiteren gerichtlichen Entscheidungen vorbehalten.
Auswirkungen des EuGH-Urteils zum Mitbestimmungsrecht bei einer SE
Das Urteil hat in zweierlei Hinsicht gravierende Auswirkungen:
Zum einen ist wieder fraglich, ob die „wirtschaftliche Aktivierung“ einer erworbenen SE-Vorratsgesellschaft, die als leere Hülle ohne ein durchgeführtes Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren gegründet wurde, ein nachträgliches Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren erfordert.
Zum anderen dürften die im Koalitionsvertrag genannten Pläne der Bundesregierung zur Ausweitung des deutschen Mitbestimmungsregimes auf die SE einen deutlichen Dämpfer erhalten haben. Denn der EuGH hat die Beweggründe des Unionsgesetzgeber im Hinblick auf die Mitbestimmung noch einmal deutlich hervorgehoben und klargestellt, dass und warum der Unionsgesetzgeber für das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren auf den Zeitpunkt vor der Errichtung der SE abstellt. Ein Aufweichen dieser europäischen Vorgaben durch den deutschen Gesetzgeber, wodurch das nach Errichten der SE erfolgende Anwachsen der Belegschaft zu Neuverhandlungen mit der Arbeitnehmerseite führen soll, dürfte damit nicht europarechtskonform sein.
SE weiter beliebt im Mittelstand
Auch wenn es weiterhin gilt, die Entwicklungen zu Missbrauchstatbeständen durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung im Blick zu behalten, ist die Rechtsform der SE nach dem EuGH-Urteil in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht weiter rechtssicher. Deshalb ist und bleibt sie für den Mittelstand eine beliebte Alternative.
Für Ihre Fragen zur Europäischen Gesellschaft (SE) stehen wir jederzeit gern zur Verfügung.