Videoüberwachung: Was geht und wo sind die (datenschutz-)rechtlichen Grenzen?

 LAG Niedersachsen: Kündigung trotz offensichtlichen Arbeitszeitbetrugs unwirksam.

Videoüberwachung: Was geht und wo sind die (datenschutz-)rechtlichen Grenzen?

Videoüberwachung im Betrieb ist nicht grundsätzlich verboten. Doch bedarf es dafür eines legitimen Zweckes im Sinne der DSGVO. Bei einem Datenschutzverstoß sei die Kündigung trotz offenkundigen Arbeitszeitbetrugs unwirksam, stellte das Landesarbeitgericht (LAG) Niedersachsen klar. In der Entscheidung ging es auch um die Frage, ob sich eine Videoüberwachung am Werkstor zur Arbeitszeitkontrolle eignet.

Fristlose Kündigung aufgrund von Arbeitszeitbetrug

Die Entscheidung der Landesarbeitsrichter in Hannover zeigt einmal mehr, wie wichtig der Datenschutz beim Einsatz einer Videoüberwachung ist. Im konkreten Fall hatte der beklagte Chef einer Gießerei einen Mitarbeiter wegen Arbeitszeitbetrugs fristlos gekündigt, obwohl der spätere Kläger den Vorwurf bestritt. Als Beleg führte der Arbeitgeber unter anderem eine Videoaufzeichnung am Werkstor an, derzufoge der Arbeitnehmer das Betriebsgelände nicht zur Nachtschicht betreten hatte.

Trotz offenkundigen Fehlverhaltens: Berechtigte Privatheitserwartung hat Vorrang

Laut LAG Niedersachsen rechtfertigt der vorgeworfene Arbeitszeitbetrug zwar grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung. Doch könne das Unternehmen dem Kläger diese Pflichtverletzung nicht nachweisen. Denn die Videoaufzeichnung am Eingang des Betriebsgeländes lies das Landesarbeitsgericht nicht als Beweismittel zu. Die Gründe: Der Arbeitgeber hatte sich in einem internen Betriebskonzept verpflichtet, Daten aus einer Überwachungskamera nur 96 Stunden aufzubewahren. Unter der Überschrift „Dauer der Datenspeicherung“ gaben Hinweisschilder dies als maximale Speicherdauer an. Gegen diese selbst aufgestellte Regel habe der beklagte Arbeitgeber „eklatant verstoßen“, so das LAG Niedersachsen. Der Arbeitnehmer dürfe sich aber auf diese Selbstbindung verlassen und eine „berechtigte Privatheitserwartung“ hegen, dass auf die Videobilder nicht länger zurückgegriffen wird.

Beweisverwertungsverbot wegen DSGVO-Verstoß

Darüber hinaus greife zugunsten des Klägers ein Beweisverwertungsverbot. Dabei stützt sich die Kammer auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Im ersten Schritt ist danach zu prüfen, ob ein Verstoß gegen materielles Recht vorliegt. Ist dies zu bejahen, folgt in Schritt zwei die Prüfung: Verstößt das Gericht im konkreten Einzelfall gegen ein Grundrecht des Beschäftigten, wenn es die so gewonnenen Beweismittel verwertet? Wenn ja, greift das Beweisverwertungsverbot. Im konkreten Fall ist dies laut Landesarbeitsgericht Niedersachsen zu bejahen: Die Auswertung der Videoaufnahmen sei ein rechtswidriger Eingriff in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus Artikel 2 Grundgesetz ergibt. Denn eine zulässige Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß § 26 Absatz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) liege nur dann vor, wenn die Auswertung der Videobilder notwendig ist, um das Beschäftigungsverhältnis durchzuführen oder zu beenden. Oder wenn diese erforderlich ist, um eine Straftat aufzudecken. Doch diese Voraussetzungen sah das LAG Niedersachsen nicht als erfüllt an.

Kein „Zufallsfund“

Die Kammer beruft sich dabei auf das Bundesarbeitsgericht, demzufolge eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen sei: Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten müssten geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sich das Ziel ebenso wirksam erreichen lässt. Doch dies sei hier nicht der Fall, so das LAG: Die Videoüberwachung sei bereits nicht geeignet, den Arbeitszeitbetrug nachzuweisen. Sie dokumentiere lediglich das Betreten des Werksgeländes sowie das Verlassen desselben. Damit könne man nur auf eine Anwesenheit des Arbeitnehmers auf dem Betriebsgelände schließen. Beginn und Ende der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit ließen sich aber so nicht nachweisen. Die Videoüberwachung sei auch nicht erforderlich: Auch andere und verlässlichere Mittel wie eine Arbeitszeiterfassung durch Vorgesetze oder technische Einrichtungen wie Stempelkarten oder Kartenlesegeräte kämen in Betracht. Schließlich sei die Videoüberwachung auch nicht angemessen, um Arbeitszeiten zu kontrollieren und Straftaten aufzudecken, die damit im Zusammenhang stehen. Die Eingriffsintensität stehe außer Verhältnis zum Interesse des Arbeitgebers, weil dieser die Aufzeichnungen nach über einem Jahr gezielt wegen des Verdachts auf Arbeitszeitbetrug gesichtet und ausgewertet habe. Somit handele es sich nicht um einen gegebenfalls verwertbaren „Zufallsfund“.

Obwohl am Arbeitszeitbetrug des Klägers kein Zweifel bestand, war dieser somit mit seiner Kündigungsschutzklage vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen erfolgreich – wie schon zuvor vor dem Arbeitsgericht Hannover. Der Datenschutzverstoß des Arbeitgebers wog in diesem Fall schwerer. Über dessen Revision wird das Bundesarbeitsgericht am 29.06.2023 entscheiden.

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung rechtfertigt keine Vollüberwachung

Grenzen setzt der Datenschutz nicht nur der Videoüberwachung: Arbeitgeber sind zwar laut Bundesarbeitsgericht und Europäischem Gerichtshof verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen, wie wir bereits berichtet haben. Dies soll jedoch dem Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und nicht als Begründung für eine technische Überwachung. Sämtliche technischen Einrichtungen, die sich zur Kontrolle und Überwachung eignen, dürfen deshalb nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um berechtigte Ziele des Arbeitgebers zu erreichen. Laut Bundesarbeitsgericht ist dies beispielsweise auch bei Microsoft Office 365 der Fall, weil die Kombination bestimmter Komponenten und Funktionen eine umfassende Leistungs- und Verhaltenskontrolle ermöglicht.

Arbeitgeber brauchen berechtigtes Interesse

Ein berechtigtes Ziel für eine Überwachung durch den Arbeitgeber wäre beispielsweise: Der Betrieb kontrolliert, auf welche Seiten im Netz Beschäftigte während der Arbeit surfen. Das gilt vor allem, wenn im Arbeitsvertrag ausgeschlossen ist, das Internet privat zu nutzen. Zulässig ist in der Regel auch die Kontrolle des Arbeitspensums, beispielsweise wann und wie oft sich ein Arbeitnehmer in einem Programm einloggt. Dagegen überschreiten Vorgesetzte eine rote Linie, wenn sie ohne einen begründeten Verdacht auf eine Straftat oder eine andere schwerwiegende Pflichtverletzung beispielsweise sogenannte Keylogger einsetzen, also Hard- oder Software, mittels derer sich alle Eingaben des Benutzers am Computer überwachen und rekonstruieren lassen.

Konsequenzen für Arbeitgeber

Welche Konsequenzen sollten arbeitgeberseitig mit Blick auf Maßnahmen zur Arbeitszeitkontrolle und Leistungsüberwachung gezogen werden?

  1. Sorgfältiger Datenschutz-Checkup ist oberstes Gebot
    Personenbezogene Daten dürfen gemäß DSGVO nur für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden. Für die Betroffenen muss transparent und verständlich erklärt werden, wofür der Arbeitgeber ihre Daten verarbeitet. Nutzt das Unternehmen etwa Microsoft Office über den eigentlichen Zweck der technischen Einrichtung hinaus, bedarf es eines strengen Datenschutz-Checkups. Und zwar selbst dann, wenn der Betriebsrat einer Verarbeitung zugestimmt hat. Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit einer Datenverarbeitung sind sorgfältig zu prüfen und die Eingriffstiefe ist stets so gering wie möglich zu halten.
  2. Betriebsvereinbarung schafft Transparenz
    Eine Betriebsvereinbarung kann klare Regeln für technische Einrichtungen zur Überwachung aufstellen und daher unter Umständen eine Datenverarbeitung rechtfertigen. In Unternehmen mit Betriebsrat gilt nach § 87 Absatz 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ohnehin ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung technischer Einrichtungen, die sich auch zur Überwachung eignen, sodass in der Regel auch eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden muss.
  3. Verwertungsverbotsklauseln sorgfältig formulieren
    Besonderes Augenmerk gilt den Verwertungsverbotsklauseln in Betriebsvereinbarungen: So ist beispielsweise zu differenzieren zwischen einer gezielten Suche nach Beweisen und sogenannten Zufallsfunden, die in der Regel zulässig sind. Um dem Argument einer „berechtigten Privatheitserwartung“ vorzubeugen, sind klare Regeln für Verfahren und Befugnis zur Auswertung der gewonnenen Daten ratsam.

Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist ein heikles Thema. Das verdeutlicht das Urteil des LAG Niedersachsen einmal mehr. HR Verantwortliche müssen dem Datenschutz ein besonderes Augenmerk widmen und auf eine Betriebsvereinbarung hinarbeiten. Das gilt nicht nur für Videoaufnahmen, sondern grundsätzlich für alle technischen Einrichtungen, die sich zur Verhaltens- und Leistungskontrolle eignen. Schon immer haben Unternehmen Effektivität und Leistung ihrer Mitarbeiter geprüft. Doch mit der Digitalisierung wird dies einfacher und es bieten sich noch mehr Möglichkeiten. Wie bereits berichtet, sind deshalb auch sogenannte Wearables wie Datenbrillen, smarte Handschuhe mit Sensoren oder Scanner einem strengen Datenschutz-Checkup zu unterziehen.