Bereichsausnahme Rettungsdienst.

 EuGH bestätigt grundsätzliche Anwendbarkeit.

Bereichsausnahme Rettungsdienst, Insight von Martina Hadasch und Daniel Bens, Rechtsanwälte der Kanzlei Buse Heberer Fromm

Die mit Spannung erwartete Entscheidung des EuGH zur Bereichsausnahme liegt nun seit dem 21.03.2019 vor.

Die wesentlichen Aspekte der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Sowohl Notfallrettung als auch qualifizierter Krankentransport fallen unter die Bereichsausnahme.
  2. Gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne der Richtlinie sind solche, deren Ziel in der Erfüllung sozialer Aufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und die etwaige Gewinne reinvestieren, um das Ziel der Organisation oder Vereinigung zu erreichen.
  3. Die Anerkennung als „Zivil- oder Katastrophenschutzorganisation nach deutschem Recht genügt für sich alleine nicht, um die Gemeinnützigkeit im Sinne der Bereichsausnahme zu belegen.
  4. Ob eine Anerkennung als gemeinnützig im Sinne von § 52 Abgabenordnung (AO) den Anforderungen an die Gemeinnützigkeit im Sinne der Richtlinie genügt, muss durch das vorlegende OLG Düsseldorf beurteilt werden.

Der Entscheidung lag ein von der Stadt Solingen durchgeführtes Auswahlverfahren über die Beauftragung mit Leistungen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports zugrunde. Die Stadt Solingen hatte das Verfahren nicht europaweit bekannt gemacht und ausschließlich unter der Beteiligung von Hilfsorganisationen durchgeführt.

Gegen den Zuschlag an den ASB Regionalverband Bergisch Land e. V. und den Malteser Hilfsdienst e. V. setzte sich die nicht am Auswahlverfahren beteiligte Falck Rettungsdienste vor der Vergabekammer Rheinland und in zweiter Instanz vor dem OLG Düsseldorf zur Wehr.

Das OLG Düsseldorf sah sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits aufgrund ungeklärter, in den Zuständigkeitsbereich des EuGH fallenden Fragen gehindert und legte dem EuGH vier Fragen zur Entscheidung vor.

1. Vorlagefrage: Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport sind Dienstleistungen der Gefahrenabwehr

Die erste Vorlagefrage betraf die Frage, ob es sich bei der Notfallrettung und dem qualifizierten Krankentransport um „Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr“ handelt.

Der EuGH subsumiert sowohl die Notfallrettung als auch den qualifizierten Krankentransport unter den Begriff der Gefahrenabwehr. Hierzu wendet er ein europäisches Begriffsverständnis der Gefahrenabwehr an und grenzt diesen sowohl vom Zivilschutz als auch dem Katastrophenschutz in überzeugender Weise ab. Demnach umfasst der europarechtliche Begriff der Gefahrenabwehr in Abgrenzung zum Zivil- und Katastrophenschutz nicht nur Gefahren mit einer kollektiven Dimension und damit nur für die Allgemeinheit, sondern auch Gefahren für Einzelpersonen. Ob eine Gefahr in diesem Sinne vorliegt ist objektiv zu beurteilen.

Derartige Gefahren für Einzelpersonen sieht der EuGH sowohl in der Notfallrettung als auch für den qualifizierten Krankentransport objektiv als gegeben an. Allerdings diene der Krankentransport nur dann der Abwehr einer Gefahr, wenn er tatsächlich von ordnungsgemäß, in erster Linie geschultem Personal (Rettungssanitäter/Rettungshelfer) durchgeführt wird und einen Patienten betrifft, bei dem das Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert. Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht des EuGH beim nordrheinwestfälischen qualifizierten Krankentransport erfüllt.

2. Vorlagefrage: Anerkennung als Zivil- oder Katastrophenschutzorganisation genügt nicht

Mit der zweiten Vorlagefrage wollte das OLG Düsseldorf wissen, ob die Anerkennung als Zivil- oder Katastrophenschutzorganisation im Sinne von § 107 Abs. 1 Nr. 4 HS 2 GWB genügt, um die Voraussetzungen einer gemeinnützigen Organisation/Vereinigung im Sinne der Richtlinie zu erfüllen.

Nach Ansicht des EuGH genügt die Anerkennung als Zivil- oder Katastrophenschutzorganisation nach nationalem Recht nicht, da durch diese gerade keine Feststellung über die Gemeinnützigkeit getroffen werde.

3. Vorlagefrage: Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit

Die dritte Vorlagefrage betraf die Anforderungen, die an die Gemeinnützigkeit im Sinne der Bereichsausnahme zu stellen sind.

Der EuGH definiert die gemeinnützige Organisation oder Vereinigung als Organisation oder Vereinigung, deren Ziel in der Erfüllung sozialer Aufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und die etwaige Gewinne reinvestieren, um das Ziel der Organisation oder Vereinigung zu erreichen. Ob diese Voraussetzungen wiederum erfüllt sind, wenn die Organisation als gemeinnützig im Sinne von § 52 AO anerkannt ist, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des EuGH. In der Folge überlässt er die Beantwortung der Frage dem OLG Düsseldorf. Hier dürfte allerdings zu erwarten sein, dass das OLG Düsseldorf die Anerkennung als gemeinnützig gemäß § 52 AO als ausreichenden Nachweis für die Gemeinnützigkeit im Sinne der Bereichsausnahme erachten wird. Andernfalls müsste das Gericht eigene Anforderungen an die Gemeinnützigkeit im Sinne der Bereichsausnahme formulieren und darüber hinaus begründen, warum die steuerrechtliche Anerkennung unzureichend ist.

4. Vorlagefrage: Der qualifizierte Krankentransport fällt nicht unter die Rückausnahme

Mit seiner vierten Vorlagefrage wollte das OLG Düsseldorf wissen, ob der qualifizierte Krankentransport von der Rückausnahme umfasst ist. Da der EuGH den qualifizierten Krankentransport als Dienstleistung der Gefahrenabwehr einstuft, verneint er folgerichtig die Anwendbarkeit der Rückausnahme.

Fazit:

Der EuGH bringt Klarheit in Bezug auf den Anwendungsbereich der Bereichsausnahme und die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit auf den Rettungsdienst deutscher Prägung.

Unklar bleibt aber weiterhin, welche Anforderungen für ein Auswahlverfahren außerhalb des GWB gelten werden. So ist weiter unklar, ob ein europaweites Auswahlverfahren nach den Grundsätzen der Transparenz und Chancengleichheit erforderlich sein wird, ein Auswahlverfahren unter den Hilfsorganisationen ausreichend ist oder sogar eine Direktvergabe möglich wäre. Dies werden die deutschen Gerichte erst im Nachgang und wohl auch erst in weiteren Verfahren klären.

Abzuwarten bleibt auch, ob sich das OLG Düsseldorf – wie bereits die Vergabekammer Südbayern – mit dem Aspekt des „erbracht werden“ und damit mit der Notwendigkeit einer landesrechtlichen Privilegierung von Hilfsorganisationen auseinandersetzt oder ob das OLG davon ausgehen wird, dass die Bereichsausnahme unabhängig von landesrechtlichen Vorgaben genutzt werden kann.

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