Krank oder nicht krank? Das ist hier die Frage!

 Wie glaubwürdig ist eine Krankschreibung kurz vor Ende des Arbeitsverhältnisses?

Krank oder nicht krank? Das ist hier die Frage!

Es wirkt verdächtig, wenn ein Arbeitnehmer perfekt auf das Ende der Kündigungsfrist abgestimmt krank wird. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ist allein deswegen allerdings noch nicht erschüttert.

Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Erkrankt ein Arbeitnehmer so, dass er seine Arbeitspflicht nicht erfüllen kann, muss er nicht zur Arbeit erscheinen. Anstelle des eigentlichen Arbeitslohns erhält er Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EFZG).

Allerdings muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass er krankheitsbedingt nicht arbeiten kann. Dafür ist eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („AU“) das wichtigste Beweismittel. Sie ist Beweis für die Tatsache „arbeitsunfähig erkrankt“ zu sein und für die Dauer dieses Zustandes.

Der Beweiswert einer AU ist dann sehr hoch. Nur wenn der Arbeitgeber belastbare Tatsachen vorbringen kann, die gegen die Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit sprechen, ist es möglich, den Beweiswert einer AU zu erschüttern.

Der krankgeschriebene Arzt vor Gericht

Vor dem LAG Mecklenburg-Vorpommern stritten ein Facharzt für Orthopädie und sein ehemaliger Arbeitgeber. Der Arzt hatte seinen Arbeitsvertrag gekündigt. Während der sechsmonatigen Kündigungsfrist wurde er mehrfach krank. Rund drei Wochen vor Ende der Kündigungsfrist erkrankte er erneut. Deswegen sagte er eine Dienstbesprechung ab, reiste aber einen Tag später mit der Bahn rund zehn Stunden zu seinem Wohnort in Süddeutschland. Für seine letzten drei Arbeitswochen legte er eine AU vor und nahm im Anschluss Resturlaub bis zum Ende der Kündigungsfrist.

Die Klinikleitung bezweifelte, dass der Mann tatsächlich arbeitsunfähig krank war und zahlte nur einen Teil seines letzten Bruttogehalts an ihn aus. Immerhin sei er in der Lage gewesen, während der Zeit der Erkrankung eine zehnstündige Zugfahrt in seine Heimat anzutreten. Außerdem sei es doch ein erstaunlicher „Zufall“, dass die Krankschreibung exakt so ausgestellt wurde, dass er inkl. Resturlaub nicht mehr zur Arbeit erscheinen musste.

Einverstanden war der Arzt damit nicht und klagte auf Zahlung des nicht bezahlten Teils seines letzten Gehalts.

Krank während der Kündigungsfrist – nicht per se unglaubwürdig

Damit bekam der Mann Recht. Denn auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern sah den Fall anders als der Arbeitgeber.

Eine Erkrankung während der Kündigungsfrist stelle nicht automatisch die Glaubwürdigkeit der AU-Bescheinigung in Frage – das Gleiche gelte für nachlassende Motivation am Ende des Arbeitsverhältnisses.

Nicht zuletzt spreche auch die lange Bahnfahrt nicht zwangsläufig dafür, dass die AU nicht rechtens gewesen sei: Die Belastung einer Bahnreise sei nicht ansatzweise mit der Belastung der Arbeit als Chefarzt vergleichbar. Der Mann sei außerdem so schwer erkrankt gewesen, dass z. B. ein Krankenhausaufenthalt etc. notwendig gewesen seien. Auch aus der Reise nach Hause könne man insofern keine Rückschlüsse auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der attestierten Erkrankung ziehen.

Da der Arbeitgeber keinerlei belastbare Tatsachen vortragen konnte, die die AU ernsthaft in Zweifel hätten ziehen können, gab das Gericht dem Arzt Recht. Der Arbeitgeber kam also nicht umhin, dem ehemaligen Mitarbeiter nachträglich seinen vollen Bruttolohn für den letzten Monat seiner Kündigungsfrist als Entgeltfortzahlung zu bezahlen. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 13.07.2023, Az.: 5 Sa 1/23)

Das Wichtigste kurz zusammengefasst:

  • Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („AU“) ist der wichtigste Beweis für die Arbeitsunfähigkeit nach § 3 EFZG.
  • Die Beweiskraft der AU kann ein Arbeitgeber nur erschüttern, wenn er belastbare Tatsachen vorträgt, die gegen eine Erkrankung des Arbeitnehmers sprechen.
  • Ist die Beweiskraft erschüttert und kann der Arbeitnehmer seine Erkrankung nicht beweisen, hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.