„Vorübergehend“: ein zentraler Begriff im Recht der Leiharbeit
Geht es um das Thema Leiharbeit, ist arbeitsrechtlich gesehen vor allem ein Begriff von Bedeutung – der Begriff „vorübergehend“.
Denn wird ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin nicht nur vorübergehend an ein Unternehmen ausgeliehen, könnte ein normales Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen entstehen, das die Leiharbeit in Anspruch genommen hat.
Insofern wurde eine Entscheidung des EuGH zu diesem Begriff mit Spannung erwartet, um für mehr Rechtssicherheit für Entleih-Unternehmen, Leiharbeitnehmer und Unternehmen zu sorgen, die Leiharbeiter beschäftigen wollen.
18 Monate maximale Entleihdauer – eigentlich
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt also, dass die Entleihung vorübergehend sein muss. Es legt allerdings nicht fest, was das konkret bedeutet.
Aktuell wird die maximale Höchstüberlassungsdauer in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG mit 18 Monaten definiert. Allerdings dürfen Tarifverträge von dieser Regelung Ausnahmen festlegen.
Wo aber ist die Grenze der Ausdehnung des Begriffs erreicht? Dem LAG Berlin-Brandenburg kamen hier Zweifel, als es um eine Entleihung von 55 Monaten ging.
Die Zweifel, ob eine solche Überlassungsdauer noch „vorübergehend“ ist, veranlassten das LAG, dem EuGH gleich mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Frage 1: Dauerarbeitsstelle und Leiharbeit?
Die erste Frage lautete: Ist es von Bedeutung, ob eine mit einem Leiharbeitnehmer besetzte Stelle eine Dauerarbeitsstelle ist und eigentlich dauerhaft besetzt werden soll? Kommt es also auf die Qualität des Arbeitsverhältnisses an?
Der EuGH sah das nicht so. Das Kriterium „vorübergehend“ beziehe sich auf den geplanten Einsatz des Leiharbeitnehmers, nicht auf den Arbeitsplatz. Also können auch Dauerarbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt werden.
Frage 2: Anspruch auf einen Arbeitsvertrag?
Auch wollte das LAG entschieden wissen, ob ein Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags des Leiharbeitnehmers entsteht, falls der Begriff „vorübergehend“ nicht erfüllt ist. Nein, urteilte der EuGH und erkennt damit keinen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrages mit dem Unternehmen, das den Arbeitnehmer „nicht nur vorübergehend“ beschäftigt hat.
Frage 3: 55 Monate zu viel für Leiharbeit?
Zu guter Letzt wollte das LAG geklärt wissen, ob die im konkreten Fall vorliegende Entleihdauer von 55 Monaten überhaupt „vorübergehend“ im Sinne des § 1 Abs. 1 AÜG sein kann.
Hier legte sich der EuGH nicht fest und klärte nicht konkret, was „vernünftigerweise“ noch als vorübergehend anzusehen sein könnte. Ein Dauereinsatz auf einem Dauerarbeitsplatz könne zwar rechtsmissbräuchlich sein. Das festzustellen sei aber eine Frage des Einzelfalls im Hinblick auf nationale Regelungen, die Branche der Beschäftigung etc. – die Missbrauchskontrolle sei deswegen Aufgabe der nationalen Gerichte.
Damit hat der EuGH zwar einige Hinweise gegeben, anhand welcher Kriterien nationale Gerichte „vernünftigerweise“ beurteilen sollen, was vorübergehend i.S.d. §1 Abs. 1 AÜG bedeutet. Eine verbindliche Entscheidung wurde allerdings erneut nicht getroffen. Und doch ist die Entscheidung kein Freifahrtschein für ständigen Dauerentleih.
EuGH urteilt: „Es kommt darauf an“
Der EuGH klärte in seiner Entscheidung (Urteil v. 17. März 2022, Az. C-232/20) zwar zwei der drei vorgelegten Fragen zur Leiharbeit. Einer verbindlichen Entscheidung zu der Frage, ob es eine absolute zeitliche Obergrenze für die Entsendung eines Leiharbeitnehmers gibt, wich der EuGH allerdings aus.
Insofern ist es nun am BAG, hier für Deutschland mehr Rechtssicherheit zu schaffen, und Sache der deutschen Gerichte, mehr Missbrauchskontrolle auszuüben.
Ein Freifahrtschein für die Dauerüberlassung auf Dauerarbeitsplätze ist das Urteil jedenfalls nicht.