Zugangsrecht für Mitgliederwerbung
Tarifzuständige Gewerkschaften wollen Mitglieder werben können – und zwar dort, wo potenzielle Mitglieder zusammenkommen: im Betrieb. Dem trägt das Gesetz Rechnung und gibt Gewerkschaften mit § 2 Abs. 2 BetrVG eine Regelung an die Hand, die tarifzuständigen Gewerkschaften ein Zugangsrecht zum Betrieb u. a. zwecks Mitgliederwerbung einräumt – auch durch betriebsfremde Beauftragte und unabhängig davon, ob im Betrieb bereits Mitglieder arbeiten. Das ist seit einem Urteil des BAG 2006 als Teil der grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften (Art. 9 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz (GG)) anerkannt.
Zankapfel „digitaler Zugang“ – was bisher galt
In vielen Bereichen zeigt sich, dass die Digitalisierung auch das Arbeitsrecht verändert, aktuell z. B. mit dem Inkrafttreten des BEG IV, das u. a. bestimmte digitale Aushänge im Intranet, digitale Arbeitsverträge und Zeugnisse etc. ermöglicht.
Deswegen stellte sich naturgemäß die Frage: Gibt es für Gewerkschaften auch ein digitales Zugangsrecht, um Mitglieder zu werben? Dürfen tarifzuständige Gewerkschaften Mitarbeiter in Unternehmen per E-Mail kontaktieren, um sie als Mitglieder zu werben und dafür die berufliche Adresse nutzen – und zwar ohne Einwilligung des AG?
Die Antwort auf diese Frage hatte das BAG bereits 2009 gegeben: Das ist erlaubt und von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt.
E-Mail-Listen und Platz im Intranet?
Der Fall, den das BAG nun entschied, lag etwas anders: Eine Gewerkschaft forderte von einem Unternehmen, die digitale Mitgliederwerbung wie folgt aktiv zu unterstützen:
- Übermittlung sämtlicher betrieblicher E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer, um Arbeitnehmern bis zu 104 E-Mails im Jahr zu übersenden,
- Einräumen eines Zugangs als „Internal User“ zum konzernweiten Netzwerk, um dort werbende Beiträge einstellen zu können und
- Setzen einer Verlinkung auf der Startseite des Intranets auf die Website der klagenden Gewerkschaft.
In Zeiten der Digitalisierung hielt man diese Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG für angebracht. Entsprechend wollte die Gewerkschaft diese Forderung gerichtlich bestätigt wissen, nachdem der Arbeitgeber – ein Sportartikelhersteller aus dem Fränkischen – dem nicht zugestimmt hatte.
Arbeitgeber und BAG einig: Das geht zu weit!
Der Arbeitgeber sah es allerdings nicht als seine Pflicht, die Mitgliederwerbung der Gewerkschaft im Unternehmen so aktiv zu unterstützen. Man müsse als Arbeitgeber auch keine Flugblätter verteilen, merkte man an. Die Grenzen von Art. 9 Abs. 3 S. 1 seien erreicht.
Dem stimmte das BAG zu:
„Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der für ihn tarifzuständigen Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner – bereits vorhandenen und neu hinzukommenden – Arbeitnehmer zum Zweck der Mitgliederwerbung mitzuteilen.
Ein solches Begehren kann nicht auf eine von den Gerichten – im Weg der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung – vorzunehmende Ausgestaltung der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit gestützt werden“, so das BAG in seiner Pressemitteilung.
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Das Wichtigste kurz zusammengefasst:
- Tarifzuständige Gewerkschaften dürfen in Betrieben Mitgliederwerbung betreiben. Dafür ist ihnen Zugang zum Betrieb zu gewähren.
- Mitarbeiter dürfen in diesem Kontext ohne Einwilligung des Arbeitgebers über geschäftliche E-Mail-Adressen kontaktiert werden.
- Einen darüberhinausgehenden Anspruch auf digitalen Zugang zum Betrieb (Zurverfügungstellen von E-Mail-Adressen, Zugang zum konzernweiten Netzwerk, Verlinkung im Intranet) garantiert Art. 9 Abs.3 S. 1 GG nicht.