Der Insolvenztrend des Leibnizinstituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) verzeichnet für November einen leichten Anstieg der Insolvenzen von Personal- und Kapitalgesellschaften gegenüber Oktober. Im Vergleich zum Vorjahresmonat liegt die Insolvenzquote um 23 Prozent höher und auch die Zahl der betroffenen Beschäftigten liegt deutlich über dem Niveau der letzten zwölf Monate. Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands Deutscher Volks- und Raiffeisenbanken lassen hohe Strom- und Gaskosten sowie eine schwächelnde Wirtschaft die Sorgen des deutschen Mittelstands wachsen.
Worst-Case-Optionen frühzeitig prüfen
Der deutsche Gesetzgeber hat zwei Optionen geschaffen, um frühzeitig vor einer Regelinsolvenz gegenzusteuern, wenn die Erträge beispielsweise angesichts teurer Energie, hoher Inflation und anziehender Kreditzinsen zusammenschmelzen: Seit 2012 bietet das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) Firmenlenkern die Chance, auch nach einem Antrag auf Insolvenz auf dem Fahrersitz zu bleiben. Anders als im Regelverfahren benennt das zuständige Gericht keinen Insolvenzverwalter, sondern lediglich einen Sachwalter, der eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion übernimmt. In Frage kommt eine Insolvenz in Eigenverwaltung vor allem für Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell, die unvorhergesehen und temporär in schwieriges Fahrwasser geraten. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist die rechtzeitige Abstimmung des Sanierungskonzepts mit den wichtigsten Gläubigern. Wichtig ist, ausreichend Zeit für den Antrag auf Eigenverwaltung einzuplanen. Wartet das Management zu lange, verstreicht nicht nur wertvolle Zeit. Schlimmstenfalls droht gar das Risiko einer Insolvenzverschleppung.
StaRUG ermöglicht Sanierung ohne Insolvenzverfahren
Noch früher setzt das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) an, das seit 2021 gilt: Unternehmen, denen trotz eines zukunftsfähigen Geschäftsmodells in Kürze die Zahlungsunfähigkeit droht, bekommen damit die Chance einer Restrukturierung ohne Insolvenz. Zentrales Element ist der sogenannte Restrukturierungsplan, mit dem Unternehmen ihre Verbindlichkeiten neu ordnen können, wenn eine Mehrheit von 75 Prozent in jeder Gläubigergruppe zustimmt. Denkbar sind unter anderem Tilgungsaussetzungen, Stundungen oder Forderungsverzichte. Auch hierfür ist ausreichend Vorlaufzeit einzukalkulieren.
Keine Entlastung bei Arbeitnehmerforderungen
Das Instrument eignet sich vor allem für finanzwirtschaftliche Restrukturierungen. Denn das StaRUG sieht keine arbeitsrechtlichen Sanierungserleichterungen vor. Stattdessen sind Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhätnis ausdrücklich von den Gestaltungsmöglichkeiten des StaRUG ausgeschlossen. Dasselbe gilt für Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung. Demgegenüber verschafft ein Insolvenzverfahren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern über das Insolvenzgeld Erleichterung bei der Liquidität.
Für einen Personalabbau gelten nach StaRUG die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze, während sich im Insolvenzverfahren Arbeitsverhältnisse durch die Verkürzung der Kündigungsfristen leichter beenden lassen. Die Regelungen des Betriebsübergangs bleiben nach StaRUG ebenfalls unberührt, die in der Praxis sehr häufig ein Sanierungshindernis darstellen. Streben Unternehmen eine personelle Restrukturierung im Rahmen eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens an, bleiben ihnen die klassischen Instrumente: Maßnahmen für mehr Flexibilität etwa bei der Arbeitszeit, Kurzarbeit, Freiwilligenprogramme, Interessenausgleich und Sozialplan, Transfergesellschaften oder Massenentlassungen. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Nachricht, dass die Bundesregierung wegen der Energiekrise und der hohen Belastungen für die Wirtschaft den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld bis 30. Juni 2023 verlängert.
Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertreter
Auf die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertreter hat das StaRUG ausdrücklich keinen Einfluss. Allerdings löst der Beschluss, das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren in Anspruch zu nehmen, kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats aus, da es sich um nicht um eine Betriebsänderung handelt.
Progosezeitraum für Überschuldungsprüfung verkürzt
Um zuvermeiden, dass im Kern gesunde Unternehmen in die Insolvenz gedrängt werden, hat die Bundesregierung mit dem dritten Entlastungspaket den Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung verkürzt: Als überschuldet gilt ein Unternehmen erst dann, wenn nicht hinreichend wahrscheinlich ist, dass es über einen Zeitraum von vier Monaten hinaus fortgeführt werden kann. Zuvor waren es zwölf Monate. Die Regelung soll zunächst bis 31. Dezember 2023 gelten.
Angesichts der vielfältigen aktuellen Krisen angefangen bei der Corona-Pandemie bis zu drastisch gestiegenen Energiepreisen und anziehenden Kreditzinsen, stimmt es zum Jahresausklag zuversichtlich, dass sich die Zahl der Insolvenzen laut IWH verhaltener entwickelt als erwartet. Der Studie des Bundesverbands der Volksbanken und Raiffeisenbanken zufolge besteht Hoffnung, dass sich die Stimmung bald wieder bessert: Inzwischen sorgten sich weniger Unternehmen um eine Gasmangellage als noch vor ein paar Monaten. Zudem hätten viele Mittelständler bereits Investitionen in Erneuerbare Energien angestoßen. Doch die letzten drei Jahre haben gezeigt, wie wichtig es ist, sich für Worst-Case-Optionen zu wappnen. Unternehmen, denen Liquiditätsschwierigkeiten drohen, sollten deshalb frühzeitig die Chancen und Risiken verschiedener Sanierungs- und Restukturierungsoptionen analysieren. Mit Blick auf das StaRUG gilt dabei besonderes Augenmerk den arbeitsrechtlichen Aspekten. Wichtig für den Erfolg ist eine gute Vorbereitung und ausreichend Vorlauf. Verfügen Managerinnen und Manager rechtzeitig über einen umfassenden Restrukturierungsplan, verdeutlicht das nicht nur den Handlungsbedarf, sondern verbessert auch die Chancen für einvernehmliche Lösungen.