Ob eine Tätigkeit aus Sicht der Sozialversicherung als selbständig oder als abhängige Beschäftigung einzuordnen ist, lässt sich nicht immer leicht beurteilen. Es kommt darauf an, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale dabei überwiegen. Kriterien sind beispielsweise, ob die Tätigkeit nach Weisung erfolgt und ob es zu einer Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers kommt.
Selbständige Tätigkeit in Kliniken so gut wie ausgeschlossen
Über viele Jahre war umstritten, ob Mediziner in Krankenhäusern selbstständig arbeiten können. Kliniken konnten mit Hilfe von Dienstleistern wie „Rent-a-doc“ unkompliziert Bedarfsspitzen mit Honorarärzten abfedern. Seit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 04.06.2019 ist dies nur noch in sehr seltenen Ausnahmen möglich. Stattdessen unterliegen Honorarärzte als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. Aus Sicht des Bundessozialgerichts spricht für die Einordnung als abhängig Beschäftigte, dass die Honorarärzte über keinen unternehmerischen Ermessensspielraum verfügen. Und sie sind in die Organisations- und Weisungsstrukturen des Krankenhauses eingegliedert, etwa was Arbeitszeit und Dienstzimmer, Bekleidung und Betriebsmittel wie medizinische Geräte sowie Qualitätssicherungs- und Kontrollmechanismen betrifft. Auch der bundesweite Ärztemangel könne nach Ansicht des Bundessozialgerichts kein Grund dafür sein, dass die sozialrechtlichen Regelungen nicht gelten.
Auch Einschulungsuntersuchungen sind keine selbständige Tätigkeit
Wenig überraschend ist insofern ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.12.2020: Danach sprechen gegen eine Selbständigkeit als Honorararzt für Einschulungsuntersuchungen beispielsweise standardisierte Tests in den Räumen des Gesundheitsamtes, die aus Datenschutzgründen mit den dort vorhandenen Computern durchzuführen waren. Auch ein unternehmerisches Risiko der Honorarärztin konnte das Landessozialgericht nicht erkennen, nachdem die Klägerin je durchgeführter Untersuchung ein feststehendes Entgelt von 60 Euro erhielt und nicht dem Risiko des Zahlungsausfalls trotz erbrachter Leistung unterlag.
Was gilt in Arztpraxen?
Beschäftigt ein Vertragsarzt wegen Krankheit oder Urlaubs einen Praxisvertreter, droht auch hier das Risiko von Nachforderungen der Sozialversicherungsträger wegen Scheinselbständigkeit. Für eine abhängige Beschäftigung spricht dabei beispielsweise, dass der Vertreter die Praxisräume nutzt, sich an die Sprechzeiten hält und mit dem vorhandenen Personal zusammenarbeitet. Zwar hat das Bundessozialgericht schon 1959 festgestellt, dass ein Vertretungsarzt selbständig tätig ist, wenn er die Stelle des Praxisinhabers und damit die Arbeitgeberfunktion übernimmt (BSG, Urteil vom 27.05.1959, Az. 3 RK 18/55).
Neue Rechtsprechung erschwert selbständige Vertretung in Gemeinschaftspraxis
Doch die Deutsche Rentenversicherung ist mitunter anderer Auffassung. Und ein neueres Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.10.2021 bestärkt sie darin: In dem Fall ging es um die Vertretung eines Arztes einer Gemeinschaftspraxis nach Absprache im Einzelfall wegen Urlaubs oder Krankheit. Laut dem Bundessozialgericht war die Vertretungsärztin abhängig beschäftigt, weil sie hinsichtlich der Zuweisung von Patienten weisungsgebunden war. Auch sei sie in die Arbeitsabläufe der Gemeinschaftspraxis eingegliedert gewesen aufgrund des arbeitsteiligen Zusammenwirkens mit dem Praxispersonal und der kostenfreien Nutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln. Aus Sicht des Bundessozialgerichts erfüllte die Vertretungsärztin auch nicht zeitweise die Arbeitgeberfunktion. Stattdessen habe sie lediglich die ärztlichen Leistungen vertretungsweise erbracht und nicht temporär die Funktion einer Gesellschafterin der Gemeinschaftspraxis übernommen.
Insbesondere Gemeinschaftspraxen müssen deshalb gut überlegen, ob sie Vertreter in einem selbständigen Dienstverhätnis einsetzen wollen, da ansonsten Nachzahlungsforderungen der Sozialversicherungsträger drohen. Ob Gemeinschafts- oder Einzelpraxis – in jedem Fall gilt der Vertragsgestaltung bei Krankheits- und Urlaubsvertretungen besonderes Augenmerk: Festzuhalten ist, dass der Vertreter weder fachlich noch organisatorisch weisungsgebunden ist und er die Therapiehoheit innehat. Letztlich kommt es aber vor allem darauf an, wie die Vertretung im Einzelfall konkret gelebt wird.
Konsequenzen der Scheinselbständigkeit
Stellt die Deutsche Rentenversicherung etwa im Rahmen einer Betriebsprüfung beim Krankenhausträger oder beim Praxisinhaber Scheinselbständigkeit fest, sind Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Der Krankenhausträger bzw. der Praxisinhaber muss dann nicht nur die Arbeitgeber-, sondern auch die Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung überweisen. Die an den Vertreter gezahlte Vergütung (Nettolohn) wird auf einen Bruttolohn hochgerechnet, wodurch sich Nachforderungen über mehrere Zehntausend Euro ergeben können. Dabei schützt Unwissenheit nicht vor Nachzahlungen und die Behörden nehmen immer zumindest Fahrlässigkeit an. Schlimmstenfalls droht gar ein Strafverfahren.
Die Anforderungen an eine Selbständigkeit von Honorarärzten in Krankenhäusern und Arztpraxen bergen häufig Tücken. Eine saubere Abgrenzung in den vertraglichen Vereinbarungen reicht nicht, sondern es kommt zudem darauf an, wie das Vertragsverhältnis gelebt wird. Im Zweifelsfall sollten Krankenhausträger bzw. Praxisinhaber ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung einleiten. Diese stellt dann verbindlich fest, ob der Mediziner als Beschäftigter oder Selbständiger einzuordnen ist.