EuGH: Rufbereitschaft kann im Einzelfall Arbeitszeit sein.

 Maß der Einschränkungen der Freizeitgestaltung wesentlich.

EuGH: Rufbereitschaft kann im Einzelfall Arbeitszeit sein.

Der EuGH hat entschieden. Rufbereitschaft kann nur dann im vollen Umfang als Arbeitszeit gewertet werden, wenn damit erhebliche Einschränkungen in der Freizeitgestaltung verbunden sind.

Bereitschaftsdienst ist in vielen Berufen weit verbreitet. Verbunden ist damit regelmäßig die Frage, ob die Rufbereitschaft zur Arbeitszeit zählt. Diese Frage landete nun erneut vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

Der EuGH stellte fest, dass Rufbereitschaft nur dann im vollen Umfang Arbeitszeit ist, wenn sie dazu führt, dass der Arbeitnehmer durch die Bereitschaft ganz erheblich in der Gestaltung seiner Freizeit eingeschränkt wird (Az.: C-580/19 und C-344/19). Liegen solche Beeinträchtigungen der Freizeitgestaltung nicht vor, sind nur die Stunden zur Arbeitszeit zu zählen, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht wurden. Die Entscheidung im Einzelfall liegt aber bei den nationalen Gerichten, so der EuGH.

Rufbereitschaft bei der Feuerwehr

Im ersten zu entscheidenden Fall ging es um einen Feuerwehrmann aus Offenbach (Az.: C-580/19). Er durfte seinen Rufbereitschaftsdienst zwar außerhalb der Dienststelle verbringen, war aber verpflichtet, einsatzbereit in voller Arbeitskleidung mit seinem Dienstfahrzeug die Stadtgrenzen innerhalb von 20 Minuten zu erreichen.

Entfernter Arbeitsort in den Bergen

Im zweiten Verfahren ging es um einen Techniker aus Slowenien (Az.: C-344/19). Seine Aufgabe war es, an mehreren Tagen hintereinander den Betrieb von Fernsehsendeanlagen im slowenischen Gebirge sicherzustellen. Zu seiner täglichen Arbeitszeit kamen sechs Stunden Rufbereitschaftsdienst. Während dieser Zeit musste er die Sendeanlagern innerhalb einer Stunde erreichen, wenn es erforderlich war. Faktisch war das nur zu schaffen, wenn er die Zeit der Rufbereitschaft in einer Dienstunterkunft seines Arbeitgebers in den Bergen verbrachte. Da allerdings waren keine größeren Freizeitmöglichkeiten vorhanden.

Beide Arbeitnehmer verlangten, dass die Rufbereitschaften aufgrund der mit ihr verbundenen Einschränkungen vollständig als Arbeitszeit angerechnet und bezahlt wird.

Arbeitszeit oder Ruhezeit

Der EuGH stellte zunächst klar, dass mit dem Ausdruck „Rufbereitschaft“ Bereitschaftszeiten bezeichnet werden, in denen der Arbeitnehmer nicht an seinem Arbeitsplatz bleiben muss. Weiter verdeutlichte der Gerichtshof, dass der Begriff „Arbeitszeit“ auf der Ebene der europäischen Arbeitszeitrichtlinie definiert wird als jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Der Begriff „Ruhezeit“ bezeichnet hingegen jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. Der EuGH stellte damit erneut klar, dass Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers immer entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen ist.

Erhebliche Einschränkung der freien Gestaltung

Der EuGH machte deutlich, dass Bereitschaftszeiten inklusive der Rufbereitschaft auch dann voll als Arbeitszeit zu zählen sind, wenn der Arbeitnehmer diese Zeit nicht gestalten und sich seinen Interessen widmen kann. Wichtig dabei ist, dass seine Freizeit objektiv und ganz erheblich eingeschränkt wird, wenn seine Tätigkeit gerade nicht benötigt wird. Dabei könnten aber nur solche Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer durch die jeweilige nationale Rechtsprechung, den Arbeitgeber oder durch Tarifvertrag auferlegt werden.

Liegen solche erheblichen Einschränkungen nicht vor, ist während der Bereitschaft auch nur die Zeit als Arbeitszeit anzusehen, die für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen aufgewendet wurde. Auch organisatorische Schwierigkeiten sind unerheblich.

Zudem sind bei der Beurteilung, ob die Rufbereitschaft als Arbeitszeit zu bewerten ist, nicht nur die Einschränkungen, sondern auch gewährte Erleichterungen zu berücksichtigen, so der EuGH. Hier sei etwa von Bedeutung, ob ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt wird, mit dem Sonderrechte gegenüber der Straßenverkehrsordnung und Wegerechte in Anspruch genommen werden können, oder ob die Möglichkeit der Inanspruchnahme ohne Ortsveränderung besteht.

Insgesamt ist es Sache der nationalen Gerichte, eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls vorzunehmen.

Vergütung der Bereitschaftszeit

Zur Vergütung der Bereitschaftszeit stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass Zeiten, in denen tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wird anders vergütet werden können, als Zeiten in denen keine tatsächliche Arbeit erbracht wird. Die Vergütung von Bereitschaftszeiten unterliegt nicht der Richtlinie 2003/88 und kann auch durch nationales Recht oder vertragliche Vereinbarungen geregelt werden.

Auch nach der Entscheidung des EuGH müssen nationale Gerichte im Einzelfall beurteilen, ob Rufbereitschaft als Arbeitszeit einzustufen ist. Dabei werden die Gerichte u.a. die konkrete Frist, die den Arbeitnehmern auferlegt wird, um ihre Arbeit aufzunehmen, berücksichtigen müssen. Es bleibt abzuwarten, welche Zeitspannen sich hier bei den deutschen Gerichten abzeichnen werden.