Arbeitgeber muss Überstunden ohne positive Kenntnis vergüten.

 Urteil des Arbeitsgerichts Emden, Az.: 2 Ca 144/20.

Arbeitgeber muss Überstunden ohne positive Kenntnis vergüten. Urteil des Arbeitsgerichts Emden, Az.: 2 Ca 144/20.

Nach einem Urteil des ArbG Emden ist die positive Kenntnis keine Voraussetzung mehr für die Duldung von Überstunden. Schon die Möglichkeit der Kenntnis reicht.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 14. Mai 2019 entschieden, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfassen müssen. Dazu müssen sie ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einführen, so der EuGH (Az.: C-55/18).

Eine entsprechende EU-Richtlinie ist zwar noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Das Arbeitsgericht Emden sieht Arbeitgeber aber jetzt schon in der Pflicht. Das machte das Gericht bereits mit Urteil vom 20. Februar 2020 deutlich (Az.: 2 Ca 94/14; siehe auch unseren entsprechenden Blog-Beitrag). In diesem Urteil stellte es fest, dass der Arbeitgeber eine Verpflichtung zur Einrichtung eines objektiven Systems zur Arbeitszeiterfassung hat.

Diese Auffassung untermauerte das ArbG Emden nun noch einmal mit Urteil vom 24. September 2020 (Az.: 2 Ca 144/20). Diesmal ging es um die Entlohnung von Überstunden.

Vergütung von 1.000 Überstunden

Konkret hatte eine kaufmännische Angestellte ihr Arbeitsverhältnis gekündigt. Sie machte die Vergütung von rund 1.000 Überstunden geltend. In Summe forderte sie ca. 20.000 Euro. Ihre Arbeitszeiten hatte sie über eine Software der Arbeitgeberin erfasst.

Der Arbeitgeber sah das anders. Er führte an, dass er die Überstunden nicht angeordnet habe. Die Klägerin sei in Vertrauensarbeitszeit beschäftigt gewesen. Sie hätte eine mögliche Mehrarbeit selbst ausgleichen können. Dies habe sie nicht getan und die Überstunden auch nicht angezeigt. Ihre Arbeitszeiten sind zwar durch die Software aufgezeichnet aber nicht kontrolliert worden. So war die Argumentation des Arbeitgebers.

ArbG Emden gibt Arbeitnehmerin recht

Das ArbG Emden gab der Klage statt. Die Klägerin hatte so einen Anspruch auf die Vergütung der Überstunden in Höhe von rund 20.000 Euro.

Nach dem Urteil des EuGH vom 14.05.2019 (C-55/18) hat sich die Darlegungsart im Überstundenprozess modifiziert, führte das ArbG Emden aus. Die bislang vom Bundesarbeitsgericht geforderte – positive – Kenntnis als Voraussetzung für die Duldung des Erbringens etwaiger Überstunden ist dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis über die Arbeitszeiten durch Einsicht in die Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Der Arbeitgeber ist zur Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Daran ändert sich auch durch die Vereinbarung einer sog. Vertrauensarbeitszeit nichts.

Vereinfachte Darlegungslast für Arbeitnehmer

Es ist ausreichend, so das Gericht, wenn die Klägerin vorträgt, an welchen Tagen sie von wann bis wann Arbeit geleistet hat. Das war durch die Aufzeichnung der Stunden belegt. Die Erbringung der Überstunden ist auch dem Arbeitgeber zurechenbar, er hat sie zumindest geduldet. Denn durch Einsichtnahme in die Arbeitszeitaufzeichnung, zu der er verpflichtet gewesen wäre, hätte er Kenntnis von den Arbeitszeiten verschaffen können. Diese positive Möglichkeit reicht aus, so das Gericht.

Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 14.05.2019 (C-55/18)

Das Gericht führte zudem aus, dass nationale Rechtsnormen durch die Arbeitsgerichte in einer Weise auszulegen sind, die den Vorgaben des EuGH zur Arbeitszeiterfassung gerecht wird. Dem Einwand, Folgerungen für vergütungsrechtliche Fragen könnten sich aus dem o.g. Urteil des EuGH nicht ergeben, weil die Europäische Union in vergütungsrechtlichen Fragen keine Regelungskompetenz habe, ist dabei nicht zu folgen. Arbeitszeitaufzeichnungen, die (jedenfalls in erster Linie) den Zweck haben, die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften zu dokumentieren und zu überwachen, können auch vergütungsrechtliche Bedeutung entfalten. Dabei ist das Urteil des EuGH auch auf zurückliegende Sachverhalte anzuwenden, so das ArbG Emden. Vertrauensschutz ist hier nicht zu gewähren.

Das ArbG Emden hatte jetzt bereits zum wiederholten Mal die Gelegenheit, sich umfangreich zu den Auswirkungen des Urteils des EuGH zur Arbeitszeiterfassung auf deutsches Recht zu äußern. Es wird sich dabei noch zeigen, ob die Ansichten des Instanzgerichts langfristig Bestand haben werden. Die Urteile des EuGH und des Arbeitsgerichts Emden machen jedoch deutlich, dass Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung einführen und die Arbeitszeiten auch kontrollieren sollten. Wird ein solches System nicht umgesetzt, kann das nachteilig für den Arbeitgeber sein.