Eine Rechtsform auch für den Mittelstand!
Die Europäische Aktiengesellschaft, wegen ihrer lateinischen Bezeichnung Societas Europaea auch als „SE“ bezeichnet, ist eine verhältnismäßig junge Rechtsform, die sich bei deutschen Unternehmen zunehmender Beliebtheit erfreut. Nachdem zunächst große Dax-Konzerne wie die Allianz, BASF, Fresenius oder Porsche die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft für sich entdeckt haben, hat inzwischen auch im Mittelstand eine wachsende Anzahl von Unternehmen die Rechtsform der SE angenommen. Das gemeinsame deutsche Registerportal verzeichnet bereits mehr als 200 operativ tätige Europäische Aktiengesellschaften.
Merkmale der SE
Der europäische Gesetzgeber hat für die SE ein Rahmenrecht vorgegeben, die SE-Verordnung (SE-VO). Die SE-VO ist in allen Mitgliedsstaaten der EU und des EWR unmittelbar anwendbares Recht. In Deutschland erfolgte die Umsetzung der europäischen Vorgaben am 22. Dezember 2004 durch Inkrafttreten der Ausführungsgesetze SEAG und SEBG. Ergänzt wird das Normengeflecht durch nachrangig geltendes nationales Recht, insbesondere das Aktienrecht. Das Grundkapital der SE ist in Aktien aufgeteilt und muss mindestens EUR 120.000,00 betragen.
Gelebte Internationalität
Die Motive für die Rechtsformwahl der SE sind vielfältig. Ein wesentliches Motiv ist das europäische Image der SE, das es ihren Gründern ermöglicht, als modernes und innovatives Unternehmen aufzutreten und zugleich die internationale Ausrichtung zu dokumentieren. Zudem ist es mit der SE als einheitlicher europäischer Rechtsform möglich, den Sitz der Gesellschaft grenzüberschreitend zu verlegen, ohne ihre rechtliche Identität zu verlieren.
Mitbestimmungsrechtliche Aspekte
Ein weiteres Motiv für die Gründung einer SE liegt in der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die in ihrer deutschen Ausprägung einzigartig ist. Die SE ist mangels ausdrücklicher Einbeziehung in die deutschen mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften nicht von deren Anwendungsbereich erfasst. Vielmehr gilt das Prinzip der verhandelten Arbeitnehmerbeteiligung. Bei Gründung der SE ist mit den Arbeitnehmern bzw. deren Vertretern eine Beteiligungsvereinbarung auszuhandeln, die unter anderem die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung erfasst. Es steht den Verhandlungsparteien frei, eine unternehmerische Mitbestimmung ganz auszuschließen, also vertraglich zu regeln, dass keine Arbeitnehmervertreter dem Aufsichtsorgan der Gesellschaft angehören sollen.
Das Verfahren zum Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung ist gesetzlich geregelt. Für die betriebliche Mitbestimmung gilt, dass die Beteiligungsvereinbarung entweder einen SE-Betriebsrat oder ein Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer vorsehen muss. Für die unternehmerische Mitbestimmung gelten grundsätzlich keine Vorgaben. Eine Ausnahme gilt allerdings für den Fall der Rechtsformumwandlung in eine SE, bei der das bisherige Mitbestimmungsniveau beibehalten werden muss.
Wird zwischen den Vertragsparteien keine Einigung über eine Beteiligungsvereinbarung erzielt, kommt eine gesetzliche Auffanglösung zum Tragen: In diesem Fall ist ein SE-Betriebsrat zu bilden und in der SE besteht das bisherige Mitbestimmungsniveau der Gründungsgesellschaft(en) fort. Somit gilt, dass die SE keine Arbeitnehmervertreter in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat der Gesellschaft aufnehmen muss, wenn die Gründungsgesellschaften bislang nicht der Mitbestimmung unterlagen.
Das durch die Beteiligungsvereinbarung oder durch die gesetzliche Auffanglösung begründete Mitbestimmungsniveau bleibt grundsätzlich bestehen, auch bei einem weiteren Personalwachstum der Gesellschaft auch über die Arbeitnehmerschwellenwerte des Drittelbeteiligungsgesetzes und des Mitbestimmungsgesetzes hinaus. Die Ausnahme von diesem Grundsatz bildet die Vornahme struktureller Änderungen, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. In diesem Fall müssen neue Beteiligungsverhandlungen aufgenommen werden. Ein Beispiel dafür wäre die Verschmelzung einer mitbestimmten GmbH auf eine nicht mitbestimmte SE, wodurch ansonsten die Arbeitnehmer der GmbH ihre Mitbestimmungsrechte verlieren würden.
Dualistisches oder monistisches System
Ein Novum bietet die SE mit Sitz in Deutschland im Hinblick auf ihre wählbare Organisationsstruktur. Die SE ist in Deutschland die einzige Rechtsform, die bei Gründung die Wahl zwischen dem „dualistischen System“ mit Vorstand und Aufsichtsrat oder dem „monistischen System“ mit einem einheitlichen Leitungs- und Aufsichtsgremium, dem Verwaltungsrat, zulässt.
Während die dualistische SE wie eine deutsche Aktiengesellschaft ausgestaltet ist, ähnelt die monistische SE mit dem Verwaltungsrat dem angelsächsischen Board-Modell. Der Verwaltungsrat ist neben der Hauptversammlung das einzige Organ der Gesellschaft. Er leitet die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung. Nach außen wird die Gesellschaft durch einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren vertreten. Sie erledigen das Tagesgeschäft der SE. Die geschäftsführenden Direktoren werden durch den Verwaltungsrat bestellt, sind diesem gegenüber weisungsgebunden und können auch jederzeit wieder abberufen werden. Solange die Mehrheit der Mitglieder aus nicht-geschäftsführenden Direktoren besteht, kann zwischen geschäftsführenden Direktoren und den Mitgliedern des Verwaltungsrates Personenidentität bestehen, was vor allem für Familiengesellschaften beachtliche Optionen eröffnet. So kann sich – ähnlich der Organisationsstruktur einer GmbH – die Leitungs- und Vertretungsmacht in einer Person konzentrieren, wenn diese gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehört und zum geschäftsführenden Direktor benannt wurde. Auf diese Weise lässt sich auch in einer Europäischen Aktiengesellschaft eine personalistisch geprägte Organisationsstruktur errichten, die bislang vor allem den Rechtsformen der GmbH und der GmbH & Co. KG vorbehalten war.
Gründungsvarianten der SE
Der Gesetzgeber hat verschiedene Gründungsvarianten vorgegeben. Die in der Praxis häufigste Variante ist die Gründung durch Rechtsformwechsel einer AG in eine SE. Möglich sind unter anderem auch Gründungen durch Verschmelzungen. Alle Gründungsalternativen haben gemeinsam, dass sie einen Bezug ins europäische Ausland aufweisen müssen.
Die Rechtsformumwandlung einer deutschen AG in eine SE ist beispielsweise nur dann möglich, wenn diese seit mindestens zwei Jahren eine unmittelbare oder mittelbare Tochtergesellschaft innerhalb der EU oder des EWR aufweisen kann. In der Praxis hat sich alternativ zu den gesetzlichen Gründungsvarianten inzwischen auch der Erwerb einer bereits gegründeten Vorrats-SE etabliert. Nach Erwerb kann diese bedarfsabhängig in die bestehende Unternehmensstruktur integriert werden.
Steuern und Rechnungslegung
Auf die SE finden die allgemeinen Regeln zur Rechnungslegung deutscher Kapitalgesellschaften Anwendung. Es bestehen keine steuerlichen Sondervorschriften, vielmehr verweist die SE-VO auf das allgemeine Steuerrecht des Sitzstaates der Gesellschaft.