Brexit Reloaded (1): Auswirkung des Brexit auf Gerichtsverfahren.

 Welche Auswirkungen hat der Brexit auf Gerichtsverfahren? Was kann man vorbeugend unternehmen?

Brexit Reloaded (1): Auswirkung des Brexit auf Gerichtsverfahren

Das Vereinigte Königreich (UK) ist zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Zwischenzeitlich gilt das EU-Recht weiter, aber das ändert sich zum 31.12.2020. Dieser Insight behandelt als erster von drei Teilen die Folgen eines möglichen harten Brexits.

Das Vereinigte Königreich (UK) ist zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Häufig wird etwas ungenau behauptet, dies geschehe erst zum Jahresende, nämlich zum 31.12.2020. Tatsächlich hat der Jahreswechsel aber eine andere, nicht weniger wichtige, Bedeutung. Die EU und das Vereinigte Königreich haben sich im Austrittsabkommen vom 17.10.2019 nämlich darauf geeinigt, dass zwischen dem 01.02.2020 und dem 31.12.2020 eine Übergangsphase gilt. Diese soll dazu dienen, ein endgültiges Abkommen zu verhandeln. In der Zwischenzeit gilt das EU-Recht in UK weiter. Das Austrittsabkommen aus dem Oktober 2019 regelt zwar einige wichtige Punkte (bspw. den Status von in der EU lebenden Briten und umgekehrt und die irische Grenze), aber andere wichtige Punkte sind nicht geregelt. Dazu gehört auch die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen. Dieser Insight behandelt als erster von drei Teilen die Auswirkung eines möglichen harten Brexits auf die gerichtliche Zuständigkeit und sonstige prozessuale Folgen:

1. Auswirkung auf laufende Verfahren

Zuerst die gute Nachricht, laufende Verfahren bleiben unangetastet. Und das unabhängig davon, ob es zu einem harten Brexit kommt oder nicht. Zur Erinnerung, ein harter Brexit ist ein Brexit ohne Abschluss eines (weiteren) Abkommens, in dem alle ungeregelten Aspekte (wie die gerichtliche Zuständigkeit) geregelt sind. Glücklicherweise schützt das bereits geschlossene Abkommen aber die laufenden Verfahren. Hier haben die beteiligten Parteien keinen plötzlichen Zuständigkeitswechsel zu befürchten.

2. Auswirkung auf zukünftige Verfahren

Etwas komplizierter ist die Auswirkung auf zukünftige Gerichtsverfahren. Derzeit ist die gerichtliche Zuständigkeit in der EuGVVO (auch: Brüssel Ia-Verordnung) geregelt. Das ist eine europäische Verordnung, die direkte Wirkung in allen Mitgliedsstaaten der EU entfaltet. Das sorgt innerhalb der EU für eine unvergleichliche Rechtssicherheit. Gerichte eines jeden Mitgliedsstaates entscheiden auf der gleichen Grundlage. Gerichtsverfahren werden also vorhersehbarer. Geht es z. B. um die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, entschied ein Gericht in Manchester bisher wie ein Gericht in Dortmund.

Sollte es zu einem harten Brexit kommen, wird diese Verordnung im Vereinigten Königreich nicht mehr gelten. Das wiederum sorgt für eine Reihe von rechtlichen Unsicherheiten. Die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung wird sich nur noch nach nationalem britischen Recht beurteilen lassen. Zwar gibt es das Haager Gerichtsstandsübereinkommen, das unabhängig von der EU-Mitgliedschaft des UK gilt, aber das nur mit Einschränkungen. Unklar ist, ob das sog. EuGVÜ nicht wieder in Kraft tritt, ein Vorgänger der EuGVVO, die zumindest zwischen Deutschland und UK gilt. Das ist aber sehr zweifelhaft, denn sehr wahrscheinlich hat die EuGVVO das EuGVÜ nicht nur vorübergehend verdrängt, sondern endgültig außer Kraft gesetzt. Die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen wird sich also nach nationalem Recht des Vereinigten Königreichs bestimmen.

3. Sonstige Auswirkung auf Gerichtsprozesse

Die EuGVVO enthält Regelungen zum Umgang mit doppelt anhängigen Streitigkeiten, in denen also ein Gericht in einem Mitgliedsstaat angerufen wird, obwohl bereits in einem anderen Staat ein Verfahren läuft. Auch diese Regelungen entfallen nach einem harten Brexit. Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist, dass bei einem harten Brexit die Gerichte des UK Verfahren eröffnen, die eigentlich Gegenstände betreffen, die bereits vor einem (beispielsweise) deutschen Gericht anhängig sind.

Aber der Brexit kann auch mittelbare Wirkungen auf Zivilprozesse entfalten. Beispielsweise könnten Sicherheitsleistungen für Prozesskosten fällig werden, wenn ein britischer Kläger in Deutschland gegen einen inländischen Beklagten klagt. Und das OLG Frankfurt hat sich schon im letzten Jahr zur Frage geäußert, ob der drohende harte Brexit prozessuale Sicherungsmaßnahmen erlaubt (Beschluss vom 03.05.2019, Az. 2 U 1/19, nachzulesen mit interessanter Anmerkung im sehr interessanten zpoblog.de des Oldenburger Landrichters Benedikt Windau).

4. Was ist zu tun?

Unternehmer sollten alle laufenden Verfahren (einfach) und alle drohenden Verfahren (schwieriger) prüfen. Wer Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich betreibt, sollte folgende Überlegungen anstellen:

  • Wenn ein Verfahren ansteht, könnte sich anbieten, dieses noch vor Jahresende einzuleiten. Denn dann profitiert der Kläger noch von dem Vertrauensschutz des Austrittsabkommens vom 17.10.2019. Solange dieses Abkommen nicht bewusst gebrochen wird, dürfen Kläger also darauf vertrauen, dass die einmal begründete Zuständigkeit weitergilt.
  • Unternehmer sollten Streitbeilegungsklauseln auf alle möglichen Szenarien prüfen. Wer eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen hat, sollte überlegen, wo ein mögliches Verfahren stattfinden könnte, ob das präferierte Gericht die Vereinbarung akzeptiert und ob eine Vollstreckung mit dem so erlangten Titel in dem Land, in dem Vermögen der Gegenseite belegen ist, möglich ist.
  • Unter Umständen könnte eine Schiedsklausel die sicherere Alternative zur Gerichtsstandsvereinbarung sein. Denn sowohl Deutschland als auch UK sind Mitglied des New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Schiedsklauseln werden also auch nach einem harten Brexit sicher sein.

Damit sind die zivilprozessualen Auswirkungen gerade erst angerissen. Der Brexit ist jedenfalls aus Unternehmersicht bedauerlich und für Unternehmer im grenzüberschreitenden Bereich ein Quell unerfreulicher Unsicherheit. Ohne Austrittsabkommen werden diese damit aber umzugehen haben. Es hilft nur die gewissenhafte Prüfung bestehender Verträge und möglicher Verfahren mit Bezug zum Vereinigten Königreich.

Bei Fragen zum Brexit hilft Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht Johannes Brand.