Planungsrecht: Neue Flexibilität im Wohnungsbau.

 Baulandmobilisierungsgesetz führt zu Vereinfachungen beim Wohnungsbau bzw. der Umnutzung.

Planungsrecht: Neue Flexibilität im Wohnungsbau.

Erste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Hamburg zum durch das Baulandmobilisierungsgesetz eröffneten Gestaltungsspielraum für den Wohnungsbau in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt.

Das Baulandmobilisierungsgesetz ist am 23.06.2021 in Kraft getreten. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es den Wohnungsbau erleichtern und der Wohnungsknappheit begegnen.

Festlegung von Gebieten mit angespanntem Wohnmarkt und Befreiungstatbestand

Die Novelle umfasst auch die Einführung des Befreiungstatbestandes in § 31 Abs. 3 BauGB. So kann für ein Bauvorhaben in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Gunsten des Wohnungsbaus befreit werden. Voraussetzung ist, dass die Befreiung unter der Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Als erstes Bundesland hat Hamburg am 23.07.2021 das gesamte Hamburger Stadtgebiet zum Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt erklärt.

Zum Umfang der Befreiung

Das hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG Hamburg, Beschluss v. 16.08.2021 – 2 Bs 182/21) hat nun aufgezeigt, wie umfangreich der Befreiungstatbestand des § 31 Abs. 3 BauGB in der Praxis verstanden werden könnte.

In einem Eilverfahren hat es über die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus für eine städtische Wohnungsgesellschaft entschieden. Weil der Gesetzeswortlaut keine Einschränkungen zum Befreiungsumfang enthalte, sei § 31 Abs.2 Bau GB nicht nur für Befreiungen von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung (z.B. Geschosshöhe etc.) und den überbaubaren Grundstücksflächen anzuwenden. Sie greife auch für Befreiungen von der Art der festgesetzten baulichen Nutzung (z.B. Wohngebiet, Gewerbegebiet etc.). So können über § 31 Abs. 3 BauGB künftig auch Befreiungen von den Festsetzungen der Gebietsart erfolgen. Das war bislang nicht möglich. Eine solche Befreiung hätte – bislang – von den Nachbarn als Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch verhindert werden können.

In dem konkreten Fall hat das Gericht entschieden, dass die Zulassung einer Wohnnutzung keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Wohn- und Ladennutzung auf dem Nachbargrundstück verursacht. Ursprünglich war im Bebauungsplan für das Baugrundstück die Festsetzung als „Sondergebiet Läden“ vorgesehenen.

Dämpfung des Gebietserhaltungsanspruchs

Das nachbarliche Abwehrrecht gegen eine baugebietsfremde Nutzung unabhängig vom Vorliegen einer nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn (der sog. Gebietserhaltungsanspruch) wird auf einen tatbestandlichen Abwägungsbelang abgeschwächt. Denn – im Gegensatz zu § 31 Abs. 2 BauGB – enthält § 31 Abs. 3 BauGB keinen Verweis auf die – nicht veränderbaren – „Grundzüge der Planung“. In der Folge bleiben Nachbarn im Anwendungsbereich von § 31 Abs. 3 BauGB darauf beschränkt, eine konkrete Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme substantiiert dazulegen und glaubhaft zu machen, selbst wenn die gewährte Befreiung das jeweilige Baugebiet verfremden sollte. Ein Verstoß gegen den sog. Gebietserhaltungserhaltungsanspruch kann damit bei Wohnungsbauvorhaben nach dem Baulandmobilisierungsgesetz von Nachbarn nicht mehr wirksam geltend gemacht werden.

Praxisempfehlung

Die Entscheidung des hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zeigt eindrücklich, dass das vom Gesetzgeber mit der Einführung des Baulandmobilisierungsgesetz bezweckte Ziel – neue Wohnbauvorhaben im Einzelfall schnell und unbürokratisch(er) genehmigen zu können – in Gestalt des für Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt geltenden Befreiungstatbestandes erreicht werden könnte. Voraussetzung bleibt eine positive Ermessensausübung der Baugenehmigungsbehörde und die Mitwirkung der Kommune. Investoren ist zu raten, entsprechende, für mehr Wohnraum sorgende, Befreiungen vom geltenden Planrecht zu beantragen – auch wenn hierdurch vom Charakter des festgesetzten Gebietes (z.B. Wohngebiet, Gewerbegebiet etc.) abgewichen würde. Dies könnte auch bei Umnutzungen (z.B. von Kaufhäusern in den Innenstädten o.ä.) infrage kommen.