Architektenrecht: Mindesthonorare nach alter HOAI weiter durchsetzbar.

 Die in der Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen 2013 (a.F.) festgesetzten Mindestsätze für Architektenhonorare sind bei anhängigen Streitigkeiten weiter durchsetzbar.

Architektenrecht: Mindesthonorare nach alter HOAI weiter durchsetzbar.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 18. Januar 2022 entschieden, dass die in der HOAI 2013 (a.F.) festgesetzten Honorar-Mindestsätze weiter zu berücksichtigen sind. Das gilt in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen. Deutsche Gerichte können so die vom EuGH als unionsrechtswidrig bewerteten Mindestsätze der HOAI bei nationalen Rechtstreitigkeiten weiter anwenden. Anhängige Honorar-, Aufstockungs- bzw. Mindestsatzklagen haben damit (noch) Aussicht auf Erfolg. Nach der inzwischen geltenden HOAI 2021 ist das so nicht mehr möglich.

Der EuGH hat mit Urteil vom 18. Januar 2022 (Az.: C-261/20) eine Grundsatzentscheidung zur Anwendbarkeit der in der HOAI 2013 (HOAI a.F.) erlassen. Es ging um die in der HOAI a.F. festgesetzten Mindestsätze. – In einer früheren Entscheidung hatte er diese für nicht mehr anwendbar erklärt.

Das Verfahren

Zugrunde lag ein Ausgangsfall der die gerichtliche Geltendmachung eines Rest-Honorars in Höhe von 102.934,59 € des Klägers betraf. Der Kläger betrieb ein Ingenieurbüro. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag über die Erbringung von Ingenieurleistungen für ein Bauvorhaben sah als Vergütungsvereinbarung die Zahlung eines Pauschalhonorars in Höhe von 55.025,00 € vor. Nach Kündigung des Vertrages rechnete der Kläger – entgegen der vertraglichen Vereinbarung – auf Grundlage der Mindestsätze der HOAI ab. Diese Abrechnung enthielt aber ein über die vereinbarte Vergütung hinaus gehendes Honorar. Der Auftraggeber verweigerte eine Zahlung unter Hinweis auf die vertragliche Vereinbarung eines Pauschalhonorars. Der Kläger reichte daraufhin eine auf das Rest-Honorar in Höhe von 102.934,34 EUR gerichtete Zahlungsklage ein. Nachdem die Instanzgerichte der Klage überwiegend stattgegeben hatten, legte der Bundesgerichtshof (BGH) dem EuGH den Fall vor.

Grund war, dass der EuGH mit Urteil vom 04. Juli 2019 (Az.: C-377/17) entschieden hatte, dass die in der HOAI festgesetzten Mindest- und Höchstsätze gegen die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt (RL 2006/123/EG) verstoßen. Die HOAI, so die Argumentation, beinhalte verbindliche Honorare für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieure.

Die Entscheidung

Der EuGH bekräftigt in seiner Entscheidung den Grundsatz, dass alle Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Vorschriften der europäischen Union umzusetzen. Soweit nationale Vorschriften, die auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Auslegung nicht unionsrechtkonform ausgelegt werden können, sollen grundsätzlich keine Anwendung finden.

Allerdings ist ein nationales Gericht nicht dazu verpflichtet, die nationale Bestimmung nicht anzuwenden. Das gilt besonders dann, wenn die Bestimmungen des Unionsrechts keine unmittelbare Wirkung haben. Das ist nach der Ansicht des EuGH vorliegend der Fall.

Entscheidend war Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie. Ihm kann zwar allgemein eine unmittelbare Wirkung zukommen, da die Regelung genau, klar und unbedingt sei. Im vorliegenden Fall würde die Anwendung des Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie dem Kläger aber sein Recht nehmen, die in der nationalen Vorschrift festgesetzten Mindestsätze zu verlangen. In einem Rechtsstreit zwischen Privaten, misst der EuGH dem Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie eine solche, die Rechte eines Unionsbürgers ausschließende, Wirkung aber nicht zu. Nach Ansicht des EuGH besteht die Pflicht zur Beseitigung der Rechtsverletzung, in Gestalt der Beibehaltung der Mindestsätze in der HOAI an den jeweiligen Mitgliedstaat. Das Unionsrecht verfolgt nicht das Ziel, dem einzelnen Bürger Rechte zu nehmen, wenn sie auf ein Versäumnis des jeweiligen Mitgliedstaates zurückzuführen sind. Der EuGH führt weiter aus, dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des als offenkundig qualifizierten Verstoßes gegen das Unionsrecht, jedem einzelnen Bürger wegen der Nichtbeachtung des Unionsrecht zum Schadensersatz verpflichtet ist. Das heißt, dass deutsche Gerichte Architekten weiter aufgrund der früheren HOAI die darin vorgesehenen Mindestsätze zusprechen dürfen.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist überraschend, da sie der vom EuGH-Generalanwalt Maciej Szpunar – und einem überwiegenden Anteil der Praxis – vertretenen Ansicht zuwiderläuft. Sie überrascht auch, weil der EuGH es zulässt, dass die deutschen Gerichte Auftraggeber benachteiligen, die nunmehr doch die EU-rechtswidrigen Mindesthonorare der HOAI 2013 zahlen müssen, obwohl die Dienstleistungsrichtlinie eigentlich Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs (wie Mindesthonorare) zugunsten der Auftraggeber abschaffen wollte. Anstatt die EU-rechtswidrigen Aufstockungsklagen für unzulässig zu erklären, verweist er die Auftraggeber – auf ihr (Kosten-)Risiko darauf, die Bundesrepublik Deutschland für den ihnen entstehenden Schaden gerichtlich in Anspruch zu nehmen.

Die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH ist jetzt vom BGH im anhängigen Revisionsverfahren umzusetzen. Die endgültige Entscheidung in der Sache steht damit noch aus.

Seit der ersten Verordnung zur Änderung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vom 02.12.2020 (BGBl. I 2020 S.2636) sind mit Wirkung ab dem 01. Januar 2021 die Mindestsätze in der HOAI gestrichen worden. Von dieser Entscheidung des EuGH sind deshalb nur laufende Streitigkeiten, welche sich auf die alte Fassung der HOAI 2013 beziehen, betroffen.